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Segel aus Stein

Segel aus Stein

Titel: Segel aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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»Oder was meinst du, Erik?«
    Er nickte wieder, sagte jedoch nichts. Plötzlich schien er ein Teil jenes Schweigens geworden zu sein, von dem Johanna gesprochen hatte. Als ob er plötzlich ein Beispiel wäre. Er sah auf.
    »Das kann einen zerbrechen«, sagte er jetzt. »Oder. daran zerbricht man. Uneinigkeit an Bord . schlechte Stimmung. Das macht einen schnell kaputt.«
    Winter nickte.
    »Als Schiffer bist du einsam.«
    »Wie bitte?«
    »Da bist du einsam als Schiffer«, wiederholte Erik Osvald.
    Winter dachte nach. Erik Osvald war Schiffer.
    Sein junger Großvater, John Osvald ... war der auch Schiffer gewesen?
    »War John Osvald Schiffer auf der >Marino    Osvald sah wieder seine Schwester an, die den Blick jedoch nicht erwiderte.
    »Anfangs nicht«, sagte er.
    »Anfangs nicht? Was meinst du damit?«
    »Da ist mal was passiert . kurz bevor . ich weiß nicht . aber als sie in Schottland an Land gingen, war Großvater Schiffer.«
    »Passiert? Was ist denn passiert?«
    »Keine Ahnung«, sagte Osvald.
    »Die nach dem Unglück aus Schottland zurückgekehrt sind, haben die nicht erzählt, was passiert ist?«
    »Wir haben nichts erfahren«, sagte Erik Osvald.
    »Hat überhaupt jemand danach gefragt?«
    »Ja«, antwortete Erik Osvald, Winter fand es jedoch nicht überzeugend.
    »Aber keine Auskunft?«
    Erik Osvald zuckte mit den Schultern.
    »Das klingt ja fast nach Meuterei«, sagte Winter.
    »Wir wissen es wirklich nicht«, sagte Johanna Osvald, als sie ihn zur »Skarven« begleitete, die gerade von Vrängö einlief. »Hat das eine Bedeutung?«
    »Keine Ahnung«, sagte Winter. Und Bedeutung für was?, dachte er. »Dein Vater hat den Beruf aufgegeben«, sagte er.
    »Er war ja schon im Pensionsalter, reif fürs Seefahrtsmuseum, wie er es ausdrückte.«
    »Welche Abteilung?«
    Sie lächelte.
    »Aber ganz kann er die See nicht aufgeben«, sagte sie. »Wie meinst du das?«
    »Er macht sich dauernd Sorgen. Um die, die draußen sind. Um Erik und seine Besatzung. Er hört sich jeden dänischen Wetterbericht an. Damit beginnt er um Viertel vor sechs morgens und hört mit dem letzten Bericht Viertel vor elf abends auf. Aber er ruft niemals draußen auf dem Schiff an.«
    Winter bemerkte, dass sie im Präsens von ihrem Vater sprach, als ob er gerade am Radio säße und aufmerksam einer monotonen Stimme lauschte, die Zahlen herunterleierte, lebenswichtige Zahlen.
    »Wo fischen sie meistens?«, fragte Winter.
    »Westlich von Stavanger, sechzig bis siebzig Seemeilen westlich davon. Dabei können sie den Bohrtürmen nahe kommen, die fünfzig Seemeilen östlich von Schottland stehen.«
    »Skarven« legte mit einem weichen Rumpeln am Anleger von Donsö an. In vier Minuten würde sie wieder ablegen.
    »Machst du dir Sorgen um deinen Bruder, wenn er draußen ist?«, fragte Winter.
    »Natürlich.«
    Er ging auf das Schiff zu.
    »Aber jetzt mache ich mir Sorgen um meinen Vater«, sagte sie.
    »Ich werde tun, was ich kann. Wir.«
    »Es ist etwas passiert«, sagte sie. »Etwas Gefährliches.«
    »Es wäre gut, wenn du dich an alles zu erinnern versuchst, was er gesagt hat, bevor er gefahren ist. Was er getan hat. Mit wem er gesprochen hat. Ob er etwas Schriftliches hinterlassen hat. Ob jemand angerufen hat. Ob ein weiterer Brief gekommen ist. Alles.«
    »Er hat zu Gott gebetet«, sagte sie und sah ihn an. »Mein Vater hat immer zu Gott gebetet.« Sie nickte zum Schiff. »Du musst jetzt gehen.«
    Sie umarmte ihn hastig und blieb stehen, als »Skarven« zur Styrsö Skäret brauste. Winter dachte an all die Frauen, die dort in Hunderten von Jahren gestanden und übers Meer geschaut und mit Sorge im Herzen gewartet hatten. So wie Johanna jetzt dastand, wieder war es so. Er erinnerte sich, dass sie kurz darüber gesprochen hatte, als sie jung gewesen waren. Die Sorge ihrer Mutter, ihre eigene Sorge. Ihres Bruders. Winter sah zur »Magdalena«. Über dem Achterdeck waren zwei Scheinwerfer eingeschaltet. Er sah Gestalten in Ölzeug, die sich an Deck bewegten. Er sah ein Gesicht im Steuerhäuschen, das alles im Hafen überragte. Er sah, dass Erik Osvald ihm nachschaute. Er spürte einen kalten Wind und ging ins Schiffsinnere.
    Die geschützten Häuser von Langedrag waren erleuchtet. Winter bog bei der vertrauten Kreuzung ab und fuhr weiter nach Norden in ein Viertel noch mehr geschützter Villen. Er parkte vor einem der Häuser. Er kannte es, kannte es gut. Hier hatte er einen großen Teil seiner Kindheit und seine ganze Jugend

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