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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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kennst mich, Hugo. Ich predige nicht die Revolution. Ich glaube nicht an einen gewaltsamen Umsturz. Aber ich habe die Künstliche Natur erlebt. Ich weiß, was für uns möglich wäre. Ich weiß, was der Heimatschutz uns vorenthält.«
    Â»Und was willst du jetzt tun?«
    Â»Was geht da vor?«, zischte Darius von hinten. Chaison gebot ihm mit erhobener Hand Schweigen. »Warte!«
    Entweder hatte Antaea etwas gesagt, was Chaison nicht mitbekommen hatte, oder Ergez hatte sich die Antwort selbst gegeben. »Du glaubst doch wohl nicht, du könntest …«
    Â»Er hat es getan«, unterbrach ihn Antaea. »Ergez, er hat es getan. Er ist der Mann, der für den Ausfall verantwortlich ist. Wenn er das konnte, warum nicht auch …«
    Â»Nein! Das verbiete ich dir, Antaea. Ich werde den anderen sagen …« Ein Scharren, ein leiser Fluch. Chaison hörte, wie Ergez »Nein!« keuchte.

    Er sprang von der letzten Stufe und bog um die Ecke. Im Garten bot sich ihm ein seltsames Bild: Hugo Ergez und Antaea hatten mitten in einem Handgemenge innegehalten und starrten ihm entgegen. Antaea hatte Ergez an den Handgelenken gepackt und wollte ihm gerade die Arme nach hinten ziehen. Ergez, von seiner Krankheit geschwächt, hing rückwärts über den Rand des Springbrunnens.
    Â»Was machst du da?«, fragte Chaison in jenem leisen Ton, der nach seiner Erfahrung Männer, die er zu bestrafen hatte, am ehesten einschüchterte. Zu seiner Überraschung ließ Antaea Ergez los und trat zurück. Sie schien verlegen.
    Â»Ich …«
    Die Sirene unterbrach sie. Chaison kam jäh zu Bewusstsein, dass er bereits seit einigen Sekunden ein leises Grollen hörte, das wie fernes Raketenfeuer klang. Nun kam es näher, und auch der Fußboden erzitterte. Chaison schaute über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Darius und Richard hinter ihm waren, und genau in diesem Moment traf ein wabbelnder Wassertorso doppelt so groß wie er selbst den Dachrand über dem Innenhof. Dahinter zappelte ein dunkler Schatten mit vielen Armen am Himmel.
    Das Geheul verstummte. Alle sahen sich an. Und dann kam ein Laut, den Chaison bisher nur einmal in seinem Leben gehört hatte – das markerschütternde Schrillen einer Evakuierungssirene.
    Der Boden rutschte ihm unter den Füßen weg und sackte kurz ab. Alle fielen vornüber, und die Möbel setzten sich in Bewegung. Das Gaslicht flackerte und
erlosch. Von oben waren die verwirrten Stimmen der Diener zu hören, die aus ihren Betten gefallen waren.
    Â»Die Bremstriebwerke laufen auf vollen Touren!« Ergez’ Silhouette lief zur Haustür. Die anderen folgten ihm, so gut es auf dem unruhigen Boden möglich war. »Was könnte sie …« Er riss die Tür auf, ein graues Rechteck erschien in der Finsternis.
    Die Schwerkraft verringerte sich allmählich, aber möglicherweise war es schon zu spät, und das Auseinanderbrechen des Habitats war nicht mehr zu verhindern. Es war, als würde es von einer riesigen Faust gepackt – doch als Chaison mit den anderen die Straße erreichte, spürte er keinen nennenswerten Wind. Wenn es kein Hurrikan war, der das Rad durchschüttelte, was war es dann?
    Ein Blitz tauchte alles in grelles Licht. Sekunden später folgte ein krachender Donnerschlag. Richard Reiss’ Stimme dröhnte durch das verklingende Echo: »Habt ihr das gesehen? Habt ihr das gesehen ?« Er deutete auf den Himmel über der Straße.
    Chaison sah nicht hin – er beobachtete gebannt, wie Songlys Bevölkerung aus ihren Häusern auf die einzige Straße gestolpert kam. Der Nebel hatte sich gelichtet; alles war jetzt erschreckend klar zu erkennen. Neue Blitze zuckten über den Himmel und lieferten Momentaufnahmen von verängstigten Gesichtern und himmelwärts deutenden Fingern.
    Wer hatte hier das Sagen?
    Richard packte ihn an der Schulter und brüllte etwas. Chaison schüttelte seine Hand gereizt ab – schaute dann aber doch nach oben.

    Im Schein der Blitze sah er, wie sich eine Riesenhand, größer als das ganze Rad, herabsenkte, um das Habitat zu zermalmen.
    Chaison riss Mund und Augen auf, abergläubische Furcht drohte ihn zu überwältigen. Dann kamen die nächsten Blitze und erhellten blaue und grüne Tiefen am Himmel. Nun verstand er das Wort, das Richard ständig wiederholte:
    Â»Flut!«
    Bis jetzt hatte der Sturm nur

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