Segeln im Sonnenwind
die vierzehnjährige Priscilla, waren zwar noch unverheiratet, gehörten aber nicht mehr zu mir. Im Rahmen der Scheidungsregelung hatten sie sich dafür entschieden, bei den Kindern zu bleiben, mit denen sie ohnehin schon wie Geschwister zusammengelebt hatten – inzwischen hatte Marian sie auch tatsächlich adoptiert.
Susan war die jüngste derer, die während des Krieges bei Betty Lou und Nelson gewohnt hatten, und heiratete als letzte von ihnen. Alice Virginia ehelichte Ralph Sperling unmittelbar nach Kriegsende, Doris Jean heiratete Roderick Briggs im Jahr darauf und Patrick Henry, mein Sohn von Justin, Charlotte Schmidt im Jahr 1951.
Betty Lou und Nelson zogen kurz nach meiner Rückkehr nach Tampa und nahmen dabei die drei Kinder mit, die noch zu Hause lebten. Bettys Eltern und Nelsons Mutter, Tante Carole, wohnten bereits in Florida, und Betty Lou wollte für sie alle sorgen. (Wie alt war Tante Carole doch gleich 1946? Sie war die Witwe von Vaters älterem Bruder, also… Du liebe Güte! Das müssen fast hundert gewesen sein, und doch sah sie immer noch genauso aus, wie ich sie seit kurz vor dem japanischen Angriff von '41 in Erinnerung hatte. Hatte sie sich das Haar gefärbt?)
Am Samstag war ich nicht nur deshalb traurig gewesen, weil mein letztes Küken das Nest verlassen hatte, sondern auch und vor allem deshalb, weil es Vaters einhundertster Geburtstag war.
Offensichtlich brachte niemand den Tag mit Vater in Verbindung, und ich sprach das Thema ebenfalls nicht an, weil ein Hochzeitstag dem glücklichen Paar gehört und niemand etwas erwähnen sollte, das von dem freudigen Anlaß ablenkt.
Trotzdem war ich mir der Bedeutung des Tages ständig bewußt. Vor zwölf Jahren und zwei Monaten war Vater in den Krieg gezogen, und ich hatte ihn an jedem einzelnen dieser viertausend, vierhundert und einundvierzig Tage vermißt – besonders in den Jahren, nachdem Brian mich gegen ein jüngeres Modell ausgetauscht hatte.
Der geneigte Leser möge mich bitte richtig verstehen – ich möchte Brian nicht verdammen. Etwa zu Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte ich meine Fruchtbarkeit verloren, ganz im Gegensatz zu Marian, und Kinder sind schließlich der Sinn und Zweck einer howardgeförderten Ehe. Marian war willens und in der Lage, ihm weitere Kinder zu gebären, bestand jedoch auf der Ehe. Das ist verständlich.
Keiner von beiden versuchte, mich loszuwerden. Brian ging sogar davon aus, daß ich bleiben würde, bis ich deutlich machte, daß ich andere Pläne hatte. Marian bat mich zu bleiben und weinte, als ich fortging.
Dallas ist jedoch nicht Boondock, und die unnatürliche Praxis der Monogamie war in der amerikanischen Kultur des zwanzigsten Jahrhunderts so fest verwurzelt, wie es die Gruppenehe in der quasi-anarchistischen, unstrukturierten Gesellschaft von Tertius im dritten Jahrtausend der Diaspora ist. Als ich Brian und Marian zu verlassen beschloß, verfügte ich noch über keinerlei Boondock-Erfahrung, nach der ich mich hätte richten können; ich wußte einfach instinktiv, daß Marian und ich sonst nolens volens in einen Kampf um die Vorherrschaft eingetreten wären, einen Kampf, den eigentlich keine von uns wollte und der obendrein eine Qual für Brian gewesen wäre.
Das bedeutet jedoch nicht, daß ich gerne fortging. Eine Scheidung – jede Scheidung, egal, wie notwendig sie geworden ist – ist eine Amputation. Noch lange danach fühlte ich mich wie ein Tier, das sich ein Bein abgebissen hatte, um aus einer Falle zu entrinnen.
Auf meiner persönlichen Zeitlinie liegt das alles über achtzig Jahre zurück. Bewegen mich doch noch immer Ressentiments?
Ja, so ist es. Sie sind nicht gegen Brian gerichtet, sondern gegen Marian. Brian hat keine Spur von Bösartigkeit in sich; ich bin im tiefsten Herzen davon überzeugt, daß er mich nicht schlecht behandeln wollte. Schlimmstenfalls könnte man ihm vorwerfen, daß es nicht sehr gescheit von ihm war, die Witwe seines Sohnes zu schwängern, aber wieviel Männer zeigen im Umgang mit Frauen wirklich Intelligenz? In der gesamten Menschheits-geschichte kann man sie an den Fingern eines Daumens abzählen.
Marian – sie ist ein ganz anderes Thema. Sie lohnte mir meine Gastfreundschaft, indem sie von meinem Gatten verlangte, sich von mir scheiden zu lassen. Vater hatte mich zwar gelehrt, niemals auf dieses imaginäre Gefühl der Dankbarkeit zu setzen, aber kann ich von einem Gast unter meinem Dach nicht wenigstens Anstand erwarten?
»Dankbarkeit« – ein
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