Segeln im Sonnenwind
alte Joe Blow natürlich, den jeder kennt. Ist das nicht Joe dort am Tisch, wo er gerade den Punsch austeilt?«
»Natürlich ist auch Personal da«, antwortete ich. »Die Musiker, die Lieferanten und dergleichen.«
»Und dergleichen. So ist es.« Justin senkte die Stimme und wandte sich direkt an uns fünf und an Ken. »Wir alle wissen doch, welcher Anstrengungen es bedarf, unsere Altersangaben zu optimieren. Maureen, wie alt bist du?«
»Ah – siebenundvierzig.«
»Und du, Nancy, Schatz?«
Nancy wollte schon »zweiundfünfzig« sagen, unterbrach sich aber nach der ersten Silbe selbst. »Ach Mist, Papa Weatheral, ich kann mir mein Alter einfach nicht merken!«
»Dein Alter, Nancy«, beharrte Justin.
»Mal sehen. Mama bekam mich mit fünfzehn – wie alt bist du, Mama?«
»Siebenundvierzig.«
»Ja, natürlich. Ich bin zweiunddreißig!«
Justin musterte nacheinander meine Enkelin Roberta, meine Urenkelin Anne und meine Ururenkelin Nancy Jane und sagte: »Ich werde euch nicht nach eurem Alter fragen, denn jede Antwort würde nur beweisen, daß es unmöglich ist, auch nur eure Existenz mit Nancys und Maureens angeblichem Alter in Einklang zu bringen. Im Namen aller Kuratoren kann ich euch sagen, daß wir uns darüber freuen, wie sehr ihr Ira Howards Testament mit Sinn erfüllt. Wiederum im Namen aller Kuratoren muß ich jedoch erneut betonen, wie wichtig es ist, die Öffentlichkeit nicht auf unsere Besonderheiten aufmerk-sam zu machen. Wir müssen jeden Anschein vermeiden, daß wir uns von anderen Leuten unterscheiden könnten.
Deshalb muß ich leider feststellen, daß ich es sehr bedaure, euch fünf Damen alle in einem Zimmer versammelt zu sehen, und meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, daß es nie wieder dazu kommen wird! Mich schaudert bei der Vorstellung, daß ihr gemeinsam photographiert wurdet. Würde dieses Photo seinen Weg auf die Gesellschaftsseite der Journal Post vom nächsten Sonntag finden, könnte das die Bemühungen aller unserer Freunde ruinieren, uns der öffentlichen Aufmerksamkeit zu entziehen. Ken, findest du nicht, daß dieses Bild besser vernichtet werden sollte?«
Damit hatte er Ken Barstow den Schneid abgekauft, nicht aber mir: »Heh Justin, genug davon! Sicher bist du der Chefkurator, aber niemand hat dich zum Gott ernannt. Diese Photos wurden für mich und meine Kinder aufgenommen. Wenn du sie vernichtest oder Ken dazu überredest, sie zu vernichten, schlage ich dir die Kamera über den Schädel!«
»Maureen, sieh mal…«
»Spar dir dein ›Maureen, sieh mal‹! Nichts davon erscheint in der Zeitung, das ist doch klar. Ich möchte jedoch fünf Abzüge von Kens bester Aufnahme, einen für jede von uns. Und Ken hat das Recht auf einen Abzug für seine Unterlagen, wenn er möchte.«
Darauf einigten wir uns, und Justin bat auch um einen Abzug für die Archive.
Damals hielt ich Justins Vorsicht für übertrieben. Ich irrte mich. Indem er die später unter der Bezeichnung ›Maskerade‹ geführte Politik erfand und durchsetzte, erreichte er, daß achtzig Prozent unserer Leute ein offizielles Alter von unter vierzig und nur drei Prozent eines von über fünfzig hatten, als die Herrschaft des Propheten begann. Als die Gedankenpolizei des Propheten erst einmal die Arbeit aufgenommen hatte, war es sowohl schwierig als auch gefährlich, die persönliche Vor-geschichte oder die Identität noch zu wechseln. Dank Justins Voraussicht wurde das jedoch im allgemeinen auch nicht erforderlich.
Den Archiven zufolge starb Brian 1998 im Alter von hundertneunzehn Jahren – ein im zwanzigsten Jahrhundert durchaus zeitungsreifes Alter. Offiziell war er erst zweiundachtzig, was keine Zeitung interessierte. Dank Justins Maßnahmen konnten fast alle Howard-Klienten 2012, als die Herrschaft des Propheten begann, eine reduzierte Altersangabe vorweisen, die verhinderte, daß sie auffällig wurden.
Gott sei Dank hatte ich damit keine Last! Nein, nicht »Gott« sei Dank, sondern Hilda Mae, Zeb, Deety, Jake und einem wunderbaren, liebenswerten Schiff namens »Gay Deceiver« sei Dank. Ich würde sie nur zu gerne alle fünf jetzt hier sehen; Mama Maureen könnte mal wieder eine Rettungsmission gebrauchen!
Vielleicht findet Pixel sie ja. Ich glaube, er hat mich verstanden.
Etliche der Auswärtigen blieben übers Wochenende, aber Dienstag morgen, am 5. August, war ich wieder allein – und zwar zum erstenmal in meinen siebzig Lebensjahren wirklich allein. Meine beiden jüngsten, der sechzehnjährige Donald und
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