Segeln im Sonnenwind
imaginäres Gefühl, das wiederum ein imaginäres Verhalten belohnt: »Altruismus«. Bei beiden Vorstellungen handelt es sich nur um falsche Fassaden für Selbstsucht, die man als wirkliches und ehrliches Gefühl betrachten kann. Vor langer Zeit hat Mr. Clemens in seinem Essay »Was ist der Mensch?« demonstriert, daß jeder einzelne von uns jederzeit im eigenen Interesse handelt. Sobald man das begriffen hat, kann man auch mit einem Gegenspieler in Verhandlungen treten, um zum beiderseitigen Vorteil zu kooperieren. Ist man jedoch von der eigenen Selbstlosigkeit überzeugt und versucht, den anderen mit Scham vor der eigenen scheußlichen Selbstsucht zu erfüllen, gelangt man nirgend wohin.
Wo habe ich also bei meinem Umgang mit Marian einen Fehler gemacht?
War ich vielleicht zu »altruistisch«?
Ich finde schon. Ich hätte sagen sollen: »Hör mal, du Miststück, benimm dich, dann kannst du auch bei uns wohnen bleiben, solange du möchtest. Vergiß lieber die Idee, mich aus dem eigenen Haus zu jagen, oder du landest mitsamt deinem namenlosen Nachwuchs draußen im Schnee. Falls ich dir nicht gleich die ganze Abteilung herausreiße!« Und zu Brian: »Probiere es ja nicht, Bursche, oder ich suche mir einen Winkeladvokaten von einem Schlag, daß du dir noch wünschen wirst, du hättest dieses Flittchen nie zu Gesicht bekommen! Wir nehmen dich bis auf den letzten Heller aus!«
Aber das alles sind nur nächtliche Grübeleien. Die Ehe ist ein seelischer Zustand, kein bürgerlicher Vertrag. Sobald sie einmal tot ist, ist sie halt tot und fängt noch schneller an zu stinken als tote Fische. Wichtig ist nicht, wer sie umgebracht hat, sondern allein die Tatsache ihres Dahinscheidens. Dann wird es Zeit, alles aufzuteilen und sich davonzumachen, ohne sich lange mit Gegen-beschuldigungen aufzuhalten.
Warum verschwende ich dann achtzig Jahre später noch immer Zeit damit, über der Leiche einer längst dahingegangenen Ehe zu brüten? Habe ich nicht genug Probleme mit mörderischen Gespenstern? Ich bin mir ziemlich sicher, daß Pixel nicht über die Geister längst toter Katzen nachsinnt. Er lebt im ewigen Jetzt, und ich sollte es auch tun.
Als ich 1946 nach Kansas City zurückkehrte, wollte ich mich als erstes auf dem College einschreiben. Sowohl die University of Kansas City als auch das Rockhurst College lagen eine Meile nördlich von uns an der Dreiundfünfzigsten Straße, jeweils einen Block neben dem Rockhill Boulevard, das Rockhurst im Osten und die KCU im Westen – fünf Minuten mit dem Wagen, zehn mit dem Bus oder ein angenehmer Spaziergang von zwanzig Minuten bei schönem Wetter. Die medizinische Fakultät der Universität lag unmittelbar westlich der Neununddreißigsten und State Line, zehn Minuten mit dem Auto. Die Schule für Jura lag in der City, eine Fahrt von zwanzig Minuten.
Jede dieser Institutionen hatte Vor- und Nachteile. Das Rockhurst war sehr klein, aber gleichzeitig eine Jesuitenschule von wahrscheinlich hoher Gelehrsamkeit. Sie war eine Schule für Männer, wurde aber nicht ausschließlich von solchen besucht. Ich erfuhr, daß die weiblichen Schüler ausnahmslos Nonnen waren, Lehrerinnen, die hier ihre Referenzen aufbesserten, und war mir deshalb nicht sicher, ob ich willkommen sein würde. Pater McCaw, der Präsident von Rockhurst, machte mir die Sache wie folgt klar:
»Mrs. Johnson, unsere Politik ist nicht in Stein gemeißelt. Obwohl unsere Schüler mehrheitlich Männer sind, schließen wir Frauen nicht aus, die den ernsthaften Wunsch haben, unser Angebot aufzugreifen. Wir sind eine katholische Schule, heißen aber trotzdem auch Nicht-katholiken willkommen. Wir sind nicht missionarisch aktiv, aber ich sollte Sie vielleicht vorwarnen, daß Episkopale wie Sie, wenn sie erst mal mit der soliden katholischen Lehre vertraut werden, häufig zur wahren Kirche wechseln. Sollten Sie im Zuge Ihres Aufenthaltes bei uns Bedarf an Unterweisung in Glauben und Dogma entwickeln, erfüllen wir diesen Wunsch nur zu gerne. Wir werden sie jedoch nicht unter Druck setzen. Nun – streben Sie einen Abschluß an oder nicht?«
Ich erklärte ihm, daß ich mich als Studentin mit Sonderstatus und als Bakkalaureuskandidatin an der KCU eingeschrieben hatte. »Ich bin jedoch mehr an Bildung interessiert als an einem Abschluß. Deshalb bin ich hergekommen – ich kenne den Ruf, den die Gelehrsamkeit der Jesuiten genießt. Ich hoffe, hier Dinge zu lernen, die mir auf dem anderen Campus versagt bleiben würden.«
»Man sollte
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