Sehen Sie, so stirbt man also
wurde, war seine aktive Zeit lange vorbei. Mehr als 20 Jahre zuvor war er einer der mächtigsten und einflussreichsten nordamerikanischen Indianer und Anführer aller Stämme der Sioux gewesen. Damals weigerte er sich im Gegensatz zu anderen Stammesführern immer wieder standhaft, irgendwelche Friedensabkommen mit den weißen Eindringlingen zu unterzeichnen. 1876 war Sitting Bull neben Crazy Horse einer der Anführer in der legendären Schlacht am Little Bighorn, bei der General George Custer den Tod fand, neben 250 Kavalleristen. Dabei war Sitting Bull, der den Status eines Medizinmannes innehatte, eher spiritueller Führer als direkt in das Kampfgeschehen eingebunden. Little Bighorn war |70| der größte Sieg der nordamerikanischen Ureinwohner über die Weißen.
Nach der Schlacht floh Sitting Bull mit seinem Stamm über die Grenze nach Kanada, wo er fünf Jahre lebte, bis er im Jahre 1881 zurückkehrte und sich den Behörden auslieferte, aus Angst, dass sein Stamm verhungern würde: Die Weißen hatten den Bison in der Gegend so gut wie ausgerottet. 1885 schloss Sitting Bull sich der „Wild West Show“ von Buffalo Bill Cody an. Durch seine Auftritte, so hoffte er, würde er den Zuschauern das Schicksal der nordamerikanischen Indianer nahebringen können, und er sprach in der Lakota-Sprache über die Verbrechen, die die Weißen gegen sein Volk verübten. Er erkannte erst spät, wenn überhaupt, dass die ganze Veranstaltung wie auch sein Auftritt nur der Volksbelustigung dienten.
Ende der 1880er Jahre lebte Sitting Bull zurückgezogen in einem Reservat; dennoch blieb er der Obrigkeit ein Dorn im Auge – allein dadurch, dass er sich weiterhin wie ein Indianer kleidete und seine angestammten Sitten und Gebräuche ausübte. Zudem kritisierte er wiederum den
Way of life
der Weißen: „Das Leben des weißen Mannes ist Sklaverei. Sie sind Gefangene in Städten und Farmen.“ In den Medien galt Sitting Bull als Prototyp des „unbelehrbaren Wilden“, der sich den „Segnungen“ der christlichen Zivilisation verweigerte. Das Wiederaufleben der schamanistischen „Geistertanz“-Bewegung im Jahre 1890, mit der die Indianer ein letztes Mal ihre Kräfte zur Gegenwehr bündelten, wurde ebenfalls Sitting Bull angekreidet, obgleich er wenig Einfluss auf diese Entwicklung hatte. Die Behörden fürchteten dennoch, dass er die Sioux aktiv zu einem Aufstand mobilisieren könnte. Sein Name war für die Weißen immer noch verknüpft mit den traumatischen Ereignissen am Little Bighorn.
Am 15. Dezember 1890 gab deshalb U. S. Indian Service Agent Major James McLaughlin die Anweisung, Sitting Bull in Gewahrsam zu nehmen. 43 indianisch-stämmige Mitglieder der Indian Constabulary umzingelten seine Hütte, er aber weigerte sich, mit ihnen zu gehen. Bald versammelten sich zahlreiche Anhänger Sitting Bulls um ihren Anführer und die Polizisten. Es kam zum Streit, und einer der Unterstützer mit Namen Catch the Bear zog eine Handfeuerwaffe und schoss auf Lieutenant Henry Bull Head. Noch im Fallen feuerte Bull Head einen Schuss ab, und dieser traf Sitting Bull in die Seite, zwischen der zehnten und elften Rippe. Eine wilde Schießerei brach aus, und hinterher waren 14 Tote zu beklagen, davon sechs Polizisten – und Sitting Bull selbst.
|71| Die letzten Worte
Hinterher berichteten Augenzeugen, Sitting Bulls letzte Worte seien gewesen: „Ich gehe nicht. Macht mit mir, was ihr wollt. Ich gehe nicht. Kommt schon! Kommt schon! Nun mal los! Auf geht’s!“ Bis zum letzten Moment blieb er unbeugsam gegenüber der Staatsgewalt des weißen Mannes. Denn auch wenn er sich mit seinem Stamm nach dem kanadischen Exil den Behörden gestellt hatte – er selbst war sich treu geblieben und blieb es bis zum Ende.
Ein Begräbnis ohne Anteilnahme
Am 17. Dezember 1890 sollte Sitting Bull in Standing Rock auf dem Friedhof von Fort Yates beigesetzt werden, ebenso wie die bei der Schießerei getöteten indianischen Mitglieder der Constabulary. Alle seine Anhänger und Freunde waren jedoch bereits geflohen, und so erschienen am Tag des Begräbnisses nur die Angehörigen der indianischen Polizisten, die zu Sitting Bulls Verhaftung gekommen waren. Es kam zum Eklat, als Sitting Bull ebenso wie diese eine christliche Bestattung erhalten sollte. Die Obrigkeit reagierte prompt, und mangels irgendwelcher Fürsprecher erhielt Sitting Bull ein „Heidengrab“ in einer Ecke des Friedhofs, die für die Armen und die Verbrecher reserviert war.
Über ein halbes
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