Sehen Sie, so stirbt man also
Elisabeth selbst. Ihre Hofdame nahm an, der Unbekannte habe sie lediglich geschlagen. Dies dachten auch Passanten, die Zeugen der Szene wurden, den Mann festhielten und kurz darauf der eilends alarmierten Polizei übergaben. Elisabeth schien lediglich geschockt, sie unterhielt sich mit ihrer Begleitung und den Herumstehenden. Erst ein wenig später wurde sie zum ersten Mal ohnmächtig. Man brachte sie zurück ins Hotel, wo sie eine Stunde später verstarb.
Bei dem unbekannten Mann handelte es sich um einen italienischen Anarchisten, und die Waffe, die er benutze, war eine dreiseitig geschliffene dünne Feile mit einem eigens angebrachten festen Griff. Für eine Pistole oder auch nur ein Messer hatte sein Geld nicht gereicht. Die 85 mm lange und spitze Feile reichte gerade aus, um einen Menschen mit einem gezielten Stich ins Herz zu töten.
Die letzten Worte
Vor ihrer letzten Ohnmacht sagte Elisabeth: „Aber was ist denn mit mir geschehen?“ Es waren ihre letzten Worte. Offenbar hatte sie tatsächlich nicht gemerkt, was passiert war; dass man ihr eine dünne Spitze mitten in den Herzbeutel gestochen hatte. Und das ist auch glaubhaft: Gerade in ihrem Fall |74| ist nicht anzunehmen, dass sie aus einer Art falscher Scham heraus ihre Umgebung im Unklaren darüber ließ, was geschehen war, wenn sie es selbst gewusst hätte. Sicherlich hätte sie dies artikuliert ohne auf eine bestimmte Etikette zu achten – genauso wie sie gegen jede Regel, ohne ihren Hofstaat und ohne „großen Bahnhof“ nach Genf gekommen war.
Luigi Lucheni – Mörder der Kaiserin
Der Mann, der Elisabeth ermordete, hieß Luigi Lucheni und war 25 Jahre alt. Er kam aus äußerst ärmlichen Verhältnissen, war in Paris geboren als Kind italienischer Eltern, die bald gestorben waren. Zum Zeitpunkt des Attentats hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Lucheni war ein glühender Feind der Monarchie, die er für sein persönliches Unglück verantwortlich machte. Als er den tödlichen Anschlag auf Elisabeth verübt hatte, ließ er sich ohne Widerstand festnehmen und gestand seine Tat sofort. Sein Triumph wurde allein dadurch geschwächt, dass die Todesstrafe im Kanton Genf abgeschafft worden war. So wurde er (unter heftigem Protest seinerseits) lediglich zu lebenslanger Haft verurteilt; seine Gesuche, ihn nach Italien auszuliefern, wurden abgelehnt.
Es war ein schwerer Schlag für den jungen Mann, den letzten und wichtigsten Teil seines Plans wieder durch die verhasste Obrigkeit zunichte gemacht zu sehen – den Plan, als Märtyrer für die antimonarchistische Sache zu sterben und dabei vor Publikum unter dem Fallbeil sein Leben zu lassen. Im Gefängnis attackierte er wiederholt die Wärter und randalierte. Man steckte ihn in Einzelhaft. Er starb erst zwölf Jahre später, nachdem man ihm noch das letzte Mittel zur Verbreitung seiner Ansichten genommen hatte. Schon seit längerer Zeit hatte er autobiografische Aufzeichnungen angefertigt (unter dem französischen Titel: „Histoire d’un enfant abandonné, à la fin di XIXe siècle, racontée par lui-même“). Man fand ihn mit dem Gürtel erhängt in seiner Zelle; ob es Selbstmord war, ist nicht ganz klar. Eventuell wurde er durch die Wärter umgebracht, die seine Gewaltausbrüche nicht mehr ertrugen.
Nach dem Tod wurde sein Kopf vom Rumpf getrennt und in Formaldehyd konserviert – Wissenschaftler untersuchten sein Gehirn auf etwaige Anzeichen des „Bösen“, wurden aber freilich nicht fündig. 1985 wurde der Glasbehälter mit Luchenis Kopf nach Wien überstellt, wo man ihn in die Sammlung des pathologisch-anatomischen Bundesmuseums aufnahm. Erst im Jahre 2000 gestattete man auch dem Kopf des Attentäters ein Begräbnis, am Wiener Zentralfriedhof. Die Waffe, mit der er Elisabeth ermordete, ist indes immer noch im Sisi-Museum der Hofburg zu besichtigen.
Schließlich müssen bei einer solchen Verletzung die Schmerzen gar nicht viel größer sein, als wenn man einen Schlag gegen die Brust erhält. Und es kann auch sein, dass, wie im Falle von Elisabeth, nur ein einziger Tropfen |75| Blut aus der Wunde tritt. Gleichwohl wäre ihr Leben ohnedies nicht mehr zu retten gewesen.
Fragen wir aber nicht nur mit Elisabeth nach dem Was, sondern auch nach dem Warum, dann offenbart sich der tragischste Aspekt dieses Attentats: Der Täter hatte nach seiner eigenen Aussage eigentlich gar nicht Elisabeth töten wollen, sondern Prinz Henri Philippe von Bourbon-Orléans. Dieser hatte in jenen
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