Seherin von Kell
Weile an der Nordseite entlang. Dann hielt Silk wieder an, beugte sich über den Rand und spähte hinunter in den Nebel. »Hier ist es«, wisperte er.
»Das Amphitheater ist eine rechteckige Vertiefung in der Seite. Es reicht vom Strand hinauf zu diesem Portal, oder wie immer ihr es nennen wollt. Wenn ihr über den Rand blickt, seht ihr, daß die Terrassen unter uns ein Stück unterbrochen sind. Das Amphitheater befindet sich unmittelbar unter uns. Zandramas ist jetzt keine hundert Meter von uns entfernt.«
Garion spähte hinunter und spürte das Verlangen, mit seinem Willen den hinderlichen Nebel zur Seite zu schieben, damit er das Gesicht seiner Feindin sehen könnte.
»Ruhig«, wisperte ihm Beldin zu. »Die Zeit kommt früh genug.
Wir wollen ihr die Überraschung nicht verderben.«
Vereinzelte Stimmen drangen aus dem Nebel – rauhe, kehlige Grolimstimmen. Der Nebel schien sie zu dämpfen, deshalb konnte Garion keine einzelnen Worte verstehen, aber das war auch nicht nötig.
Sie warteten.
Die Sonne ging auf, und ihre blasse Scheibe war vage durch den Nebel und die dahintreibenden Wolken zu erkennen. Der Nebel begann zu wallen und löste sich allmählich in der Höhe auf, und nun vermochte Garion den Himmel deutlicher zu sehen. Eine dicke Decke grauen Nebels lag über dem Riff, erstreckte sich jedoch nur ein paar Meilen ostwärts. So kam es, daß die Sonne, die noch tief am östlichen Horizont stand, auf die Unterseite der Wolken schien und sie mit einem grellen Rot überzog, daß es aussah, als stünde der Himmel in Flammen.
»Farbenprächtig«, murmelte Sadi und nahm seinen Giftdolch von einer Hand in die andere. Er stellte sein rotes Lederkästchen auf den Boden, öffnete es und holte die irdene Flasche heraus. Nachdem er den Stöpsel herausgezogen hatte, legte er sie auf die Seite. »Es müß-
te Mäuse auf diesem Riff geben«, sagte er, »oder die Eier von Seevö-
geln. Zith und ihre Jungen werden nicht verhungern.« Dann richtete er sich auf und steckte ein Beutelchen, das er aus dem Kasten genommen hatte, in die Tasche seiner Tunika. »Eine kleine Vorsichtsmaßnahme«, flüsterte er als Erklärung.
Der Nebel lag nun wie ein perlgraues Meer im Schatten der Pyramide unter ihnen. Garion hörte einen seltsamen,
melancholischen Schrei und blickte hoch. Der Albatros schwebte auf reglosen Schwingen über dem Nebel. Garion spähte angespannt hinunter in den verhüllenden Nebel und zog fast abwesend den Lederschutz vom Griff seines Schwertes. Das Auge glühte schwach, aber nicht blau, sondern in einem Rot von fast der gleichen Farbe wie der brennende Himmel.
»Das bestätigt es, alter Wolf«, sagte Poledra zu ihrem Gemahl.
»Der Sardion befindet sich in dieser Höhle.«
Belgarath, dessen silbriges Haar und Bart im widergespiegelten Licht der Wolken rot glänzten, brummte zustimmend.
Der Nebel begann zu wallen und sah wie eine aufgewühlte See unter ihnen aus. Garion konnte durch ihn hindurch schattenhafte Gestalten sehen, verschwommen und alle dunkel.
Und dann war der Nebel nur noch ein dünner Schleier.
»Heilige Seherin!« rief Garion erschrocken. »Seht!«
Eine Gestalt in Kapuzenumhang aus schwarzem Satin wirbelte herum, und Garion blickte direkt ins Gesicht des Kindes der Finsternis. Er hatte oft genug von den Lichtpunkten unter Zandramas'
Haut gehört, doch keine Beschreibung hatte ihn auf das vorbereitet, was er jetzt sah. Die Lichtpünktchen in ihrem Gesicht wirbelten ruhelos unter der Haut. Im Schatten der uralten Pyramide wirkten ihre Züge dunkel und waren fast unsichtbar, aber die Lichter ver-mittelten den Eindruck, wie es so kryptisch im Ashabiner Orakel stand, als befänden sich alle Sterne des Universums in ihrem Fleisch.
Hinter sich hörte er, wie Ce'Nedra fast den Atem einsog. Er drehte den Kopf und sah seine kleine Königin mit dem Dolch in der Hand und haßfunkelnden Augen auf die Treppe zulaufen, die zum Amphitheater hinunterführte. Polgara und Sammet, die ihren törichten Plan offenbar erkannt hatten, hielten sie rasch auf und nahmen ihr das Messer ab.
Dann trat Poledra an den Rand der Terrasse. »Nun ist es endlich so weit, Zandramas«, sagte sie mit klarer, tragender Stimme.
»Ich habe nur gewartet, bis du dich deinen Freunden anschließt, Poledra«, entgegnete die Zauberin höhnisch. »Ich machte mir deinetwegen schon Sorgen, denn ich befürchtete, du hättest dich vielleicht verirrt. Nun, da wir vollzählig sind, können wir ordnungsge-mäß beginnen.«
»Deine Sorge
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