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Seherin von Kell

Seherin von Kell

Titel: Seherin von Kell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Eddings
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Garion, daß die Welt nur aus dem einzigen Grund erschaffen worden war, dieses zerbrechliche Mädchen hierherzubringen, um diese eine Wahl zu treffen. Aber war sie dazu jetzt überhaupt imstande? Wäre es nicht möglich, daß der Tod ihres Führers und Beschützers – der einzigen Person auf der Welt, die sie wirklich geliebt hatte – sie un-fähig machte, die Wahl zu treffen?
    Cyradis weinte, und solange sie weinte, verflog die Zeit. So deutlich, als lese er es in diesem Buch des Himmels, nach dem die Seher sich richteten, wußte Garion nun, daß der Zeitpunkt der Begegnung und der Wahl nicht allein der heutige Tag war, sondern ein ganz bestimmter Augenblick dieses Tages, und daß – falls Cyradis durch ihre unerträgliche Trauer nicht in der Lage war, in diesem ganz bestimmten Augenblick zu wählen – alles, was gewesen war, alles was war, und alles, was noch sein würde, verginge wie ein flüchtiger Traum. Sie mußte zu weinen aufhören, wenn nicht alles für immer verloren sein sollte.
    Es begann mit einer klaren, einzelnen Stimme, einer Stimme, die sich in schwermütiger Trauer hob und in sich die Summe allen menschlichen Leides enthielt. Dann fielen andere Stimmen in diesen schmerzlichen Gesang ein, einzeln, in Trios oder Oktetten. Der Chor des Gruppenbewußtseins der Seher drang in die Tiefen der Trauer der Seherin von Kell, sank dann in ein unerträgliches Diminuendo schwärzester Verzweiflung und verlor sich in einem Schweigen tiefer als das Schweigen des Grabes.
    Cyradis weinte, aber sie weinte nicht allein. Ihre gesamte Rasse weinte mit ihr.
    Die einsame Stimme begann aufs neue, und die Melodie war ähnlich wie jene, die soeben verklungen war. Für Garions ungeschultes Ohr hörte sie sich fast genauso an, aber irgendwie hatte ein kaum merklicher Tonwechsel eingesetzt, und als die anderen Stimmen wieder einfielen, gesellten sich neue Töne zu dem Gesang; und die Trauer und abgrundtiefe Verzweiflung wurden durch sie in Frage gestellt.
    Und wieder begann das Lied, diesmal nicht mit einer Solostimme, sondern in stimmgewaltigem Chor mit einem mächtigen Akkord, der mit sieghafter Bejahung selbst den Himmel zu erschüttern schien. Die Melodie blieb im wesentlichen die gleiche, doch was als ein Trauerlied begonnen hatte, war nun eine heitere Weise geworden.
    Cyradis legte Toths Hand sanft auf seine leblose Brust, strich über sein Haar und tastete über seinen Leichnam, um tröstend Durniks tränenüberströmtes Gesicht zu berühren.
    Nicht länger weinend erhob sie sich, und Garions Ängste lösten sich auf und schwanden wie der Morgennebel, der das Riff verhüllt und sich durch die Kraft der Sonne aufgelöst hatte. »Gehet!« sagte sie mit fester Stimme und deutete auf das nun unbewachte Portal.
    »Der Augenblick steht bevor. Gehet, Kind des Lichts, und Ihr, Kind der Finsternis, in die Grotte, denn wir haben Wahlen zu treffen, die, wenn einmal getroffen, nicht mehr ungeschehen gemacht werden können. Kommt mit mir zu dem Ort, der nicht mehr ist, um dort über das Schicksal aller Menschen zu entscheiden.« Ohne zu stocken führte die Seherin von Kell sie festen Schrittes zu dem Portal, über dem das steinerne Gesicht Toraks herabblickte.
    Garion fühlte sich in der Kraft dieser klaren Stimme willenlos und fiel neben Zandramas in Schritt, um der zierlichen Seherin zu folgen. Als er und das Kind der Finsternis durch das Portal traten, spürte er, daß etwas gegen seine gepanzerte rechte Schulter streifte.
    Nicht ganz ohne Belustigung wurde ihm klar, daß die Kräfte, die diese Begegnung lenkten, sich ihrer selbst nicht so völlig sicher waren. Sie hatten eine unsichtbare Schranke zwischen ihm und der Zauberin von Darshiva errichtet. Zandramas' ungeschützte Kehle befand sich durchaus in der Nähe seiner Hände, aber die Barriere machte sie so unerreichbar, als befände sie sich auf der rückwärtigen Seite des Mondes. Vage war er sich bewußt, daß die anderen ihnen folgten, seine Freunde ihm, und Geran sowie der heftig zitternde Otrath Zandramas.
    »Dies muß nicht so sein, Belgarion von Riva«, flüsterte Zandramas ihm eindringlich zu. »Wollen wir, die Mächtigsten im ganzen Universum, uns der willkürlichen Wahl dieses geisteskranken Kindes aussetzen? Laßt uns unsere Wahlen für uns selbst treffen. So werden wir beide zu Göttern. Mühelos sind wir dann imstande, UL und die anderen abzusetzen und gemeinsam über die gesamte Schöpfung zu herrschen.« Die Lichtpünktchen unter ihrer Haut wirbelten nun

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