Seherin von Kell
hinter ihr. »Wie geht es dir, kleine Schwester?«
erkundigte er sich höflich.
»Ich bin zufrieden, Freund«, antwortete sie in der Sprache der Wölfe.
»Das freut mich«, erwiderte er in ihrer Zunge.
»Spricht denn jeder auf der Welt Wolf, oder wie man es nennt?«
fragte Silk leicht gereizt.
»Hättest du gern Unterricht?« entgegnete Garion.
»Nein, danke!«
Und dann führte der Weißhaarige sie mit schwerem Schritt über den saftig grünen Rasen zu einem großen Marmorbau mit einer polierten Freitreppe. »Dieses Haus wurde Anfang des Dritten Zeitalters für Euch erbaut, Ehrwürdiger Belgarath«, erklärte der Greis.
»Sein erster Stein wurde an dem Tag gelegt, als Ihr das Auge Aldurs, Eures Herrn, aus der Stadt der Ewigen Nacht zurückgeholt habt.«
»Das ist sehr lange her«, bemerkte der Zauberer.
»Die Zeitalter dauerten zunächst sehr lange«, bestätigte Dallan.
»Sie werden jetzt kürzer. Ruht Euch alle gut aus. Wir sorgen für Eu-re Pferde.« Dann drehte er sich um und kehrte auf seinen Stock ge-stützt zu seinem eigenen Haus zurück.
»Wenn ein Dalaser einmal ohne Umschweife sagt, was er meint, und ohne all das rätselhafte Gebrabbel, ist es bestimmt das Ende der Welt«, knurrte Beldin. »Gehen wir hinein. Falls das Haus schon so lange steht, wie er sagt, liegt der Staub wahrscheinlich kniehoch und muß erst einmal ausgefegt werden.«
»Ein plötzlicher Sauberkeitsfimmel, Ohm?« Polgara lachte, während sie alle die Treppe hinaufstiegen. »Ausgerechnet du?«
»Ein bißchen Schmutz stört mich nicht weiter, Pol, aber bei Staub muß ich immer niesen.«
Doch im Haus hätte es nicht sauberer sein können. Schleierfeine Vorhänge waren vor die zum Teil offenstehenden Fenster gezogen und blähten sich in der süß duftenden Sommerbrise, und die Mö-
belstücke waren trotz ihrer ungewöhnlichen Bauart und obwohl sie sehr fremdartig aussahen, ungemein bequem. Die Innenwände waren eigentümlich geschwungen und wiesen nirgendwo Ecken auf.
Sie wanderten durch dieses seltsame Haus und versuchten, sich daran zu gewöhnen. Dann setzten sie sich alle in den riesigen Kup-pelraum in der Mitte des Hauses, wo Wasser eines kleinen Springbrunnens eine Wand herabrann.
»Es gibt keine Hintertür«, stellte Silk kritisch fest.
»Hattest du vor, dich heimlich zu empfehlen, Kheldar?« fragte Sammet.
»Nicht unbedingt, aber ich habe es gern, wenn mir diese Möglichkeit offensteht – falls sich ein Rückzug als notwendig erweisen sollte.«
»In dem Fall kannst du ja aus einem Fenster springen.«
»Das ist unfachmännisch, Liselle. Nur ein Student im ersten Jahr würde aus einem Fenster hechten.«
»Ich weiß, aber manchmal müssen wir improvisieren.«
In Garions Ohren erklang ein eigenartiges Murmeln. Anfangs glaubte er, es käme von einem Springbrunnen, aber es hörte sich nicht wirklich wie fließendes Wasser an. »Denkst du, sie hätten etwas dagegen, wenn wir hinausgehen und uns umsehen?« fragte er Belgarath.
»Warten wir damit noch ein bißchen. Wir wurden sozusagen hier hineinkomplimentiert. Ich weiß nicht, ob das bedeutet, daß wir hierbleiben sollen. Versuchen wir uns erst ein Bild zu machen, bevor wir irgendwelche Risiken eingehen. Die hiesigen Dalaser – vor allem Cyradis – haben etwas, das wir brauchen. Kränken wir sie nicht.«
Er blickte Durnik an. »Hat Toth durchblicken lassen, wann sie in etwa hierherkommen wird?«
»Eigentlich nicht, trotzdem habe ich den Eindruck gewonnen, daß sie uns nicht lange warten lassen wird.«
»Das sagt uns nicht viel, Bruderherz«, meinte Beldin. »Die Dalaser haben eine etwas merkwürdige Einstellung zur Zeit. Sie rechnen sie in Zeitaltern, nicht in Jahren.«
Zakath hatte die Wand, die sich nur wenige Meter hinter dem Springbrunnen befand, eingehend betrachtet. »Ist euch klar, daß keinerlei Mörtel zum Zusammenhalten der Steine benutzt wurde?«
Durnik trat neben ihn, zog sein Messer aus der Scheide und tastete die kaum sichtbare Fuge ab. »Sie sind durch Nuten miteinander verbunden«, stellte er staunend fest. »Es muß Jahre gedauert haben, dieses Haus zu bauen.«
»Und Jahrhunderte für die Stadt, wenn alle Bausteine so zusammengefügt sind«, warf Zakath ein. »Wo haben sie das gelernt? Und wann?«
»Wahrscheinlich während des Ersten Zeitalters«, meinte Belgarath.
»Hör damit auf, Belgarath!« sagte Beldin gereizt. »Du redest schon fast wie sie.«
»Ich versuche immer, mich den einheimischen Sitten anzupassen.«
»Ich weiß trotzdem
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