Seherin von Kell
sein!«
»Durnik!« sagte sie leicht gereizt.
»Erinnerst du dich, wie Toth und ich angefangen haben, miteinander zu reden – mit Gesten, meine ich?« Durniks Stimme überschlug sich nun fast, und er mußte rasch Atem holen. »Wir haben miteinander gearbeitet, und einer, der mit jemand anderem zusam-menarbeitet, versteht allmählich genau, was der andere tut – sogar, was er denkt.« Er blickte Silk an. »Du und Garion und Pol benutzt diese Fingersprache.«
»Ja.«
»Ihr habt die Gesten gesehen, die Toth macht. Könnte die Geheim-sprache so viel aussagen, mit nur ein paar Handbewegungen – , so wie er sie macht?«
Garion kannte die Antwort bereits.
Leicht verwirrt sagte Silk: »Nein, das wäre unmöglich!«
»Aber ich weiß genau, was er mir sagen will«, versicherte ihnen Durnik. »Die Gesten bedeuten überhaupt nichts. Er macht sie nur, um meinem Verstand eine Art Erklärung für das zu geben, was er wirklich tut.« Durniks Miene wurde ehrfürchtig. »Er hat mir die Worte direkt in den Geist eingegeben – ohne zu reden. Das muß er, weil er nicht reden kann! Vielleicht ist dieses Murmeln, das wir hö-
ren, die Verständigung der Dalaser untereinander? Vielleicht vermögen sie es sogar über weite Entfernungen hinweg?«
»Und über die Zeit hinweg ebenfalls«, sagte Beldin mit wachsen-dem Staunen. »Erinnerst du dich, was dein großer stummer Freund gesagt hat, als wir hier ankamen? Daß nichts, was die Dalaser je taten, je vergessen wurde. Daß jeder jetzt lebende Dalaser alles weiß, was jeder Dalaser, der je gelebt hat, wußte.«
»Deine Idee ist absurd, Beldin«, sagte Belgarath abfällig.
»Nein. Nicht wirklich. Ameisen tun es. Bienen ebenfalls.«
»Wir sind keine Ameisen – oder Bienen.«
»Ich kann fast alles, was eine Biene kann.« Der Bucklige zuckte mit den Schultern. »Außer vielleicht Honig machen – und du könntest wahrscheinlich einen einigermaßen annehmbaren Ameisenhaufen bauen.«
»Würde mir bitte einer von euch erklären, wovon ihr redet?« sagte Ce'Nedra verärgert.
»Sie deuten die Möglichkeit eines Gruppenbewußtseins an, Liebes.« Polgaras Stimme klang völlig ruhig. »Sie tun es nicht sehr klar, aber darauf läuft es hinaus.« Sie schenkte den beiden alten Männern ein gönnerhaftes Lächeln. »Es gibt gewisse Geschöpfe – gewöhnlich Insekten – , die als Einzelwesen über nicht sehr viel Intelligenz verfügen, als Gruppe jedoch sehr weise sind. Eine einzelne Biene ist nicht sonderlich klug, aber ein Bienenvolk weiß alles, was ihm je geschehen ist.«
Die Wölfin war hereingekommen, ihre Krallen kratzten auf dem Marmorboden, während ihr Junges hinter ihr hertollte. »Bei Wölfen ist es auch so«, warf sie ein und ließ erkennen, daß sie an der Tür zugehört hatte.
»Was hat sie gesagt?« fragte Silk.
»Daß es bei Wölfen so ähnlich ist«, übersetzte Garion. Da erinnerte er sich an etwas. »Ich habe mich einmal mit Hettar unterhalten, und er hat gesagt, daß Pferde auch so sind. Sie denken an sich nicht als Einzelwesen, sondern nur als Teil der Herde.«
»Wäre es denn wirklich möglich, daß Menschen so was tun?« fragte Sammet ungläubig.
»Es gibt nur eine Möglichkeit, es herauszufinden«, entgegnete Polgara.
»Nein, Pol!« wehrte Belgarath streng ab. »Es ist zu gefährlich! Du könntest hineingezogen werden und nicht mehr imstande sein, dich wieder daraus zu lösen.«
»Nein, Vater«, erwiderte sie völlig ruhig. »Die Dalaser lassen mich vielleicht nicht ein, aber sie werden mir weder etwas tun noch versuchen, mich gegen meinen Willen zu halten.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich weiß es ganz einfach.« Sie schloß die Augen.
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ie beobachteten sie besorgt, als sie ihr makelloses Gesicht hob.
SMit geschlossenen Augen und seltsam entrückten Zügen konzentrierte sie sich.
»Und?« fragte Belgarath.
»Still, Vater, ich lausche!«
Seine Finger trommelten ungeduldig auf die Rückenlehne eines Sessels, während die anderen Polgara atemlos ansahen.
Schließlich öffnete sie die Augen und seufzte bedauernd. »Es ist gewaltig«, sagte sie leise. »Es birgt jeden Gedanken, den diese Leute je dachten, und jegliche Erinnerung. Es entsinnt sich sogar des Anfangs, und alle wissen alles, was es weiß.«
»Du auch?« fragte Belgarath sie.
»Einen Herzschlag lang, Vater. Sie gestatteten mir einen flüchtigen Blick. Aber es gibt Teile, die verschlossen sind.«
»Das hätten wir uns denken können«, brummte Beldin mit finsterem Gesicht. »Sie
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