Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
Worten folgte einem ausgeklügelten Plan, der noch nicht zu Ende gebracht war.
»Gehen wir einmal vom schlimmsten Fall aus: Solltet Ihr die Folter überstehen, ohne ein Geständnis abzulegen, werdet Ihr aus der Haft entlassen. Ihr habt eine Purgation, eine Reinigung von den Indizien, die gegen Euch sprechen, erreicht. Aber dasbedeutet nicht, dass Ihr unschuldig seid. Es ist die absolutio ab instantia. Bei neuen Indizien wird das Verfahren wieder aufgenommen und die Folter wiederholt. Also, wenn es Euch nicht gelingt, Euch vom Bösen loszusagen, lauft Ihr Gefahr, nochmals die tortura zu erleben. Glaubt mir, das zweite Mal an diesen Ort geführt zu werden ist schlimmer als das erste Mal, denn man weiß, was einen erwartet. Ich hörte von einem Mann, der verlor zwar nicht das Böse, als er das zweite Mal der tortura unterzogen werden sollte, aber er verlor seinen Verstand. Für immer. Er wurde zu einem armen, sabbernden Kretin.«
Der Rundgang schien beendet zu sein, denn der Promotor wandte sich wieder der Tür zu und trat in den Gang hinaus. Catheline, der Baron und die Wachen folgten ihm.
Amédé de Troyenne räusperte sich und zerrte am Kragen seines Wamses. »Ehrenwerte Herren!«, wandte er sich an Pater Blouyn und den Bischof, die mit verschränkten Armen vor ihm standen. »Ich bitte darum, die Exkommunikation aufzuheben. Sie ist grausam gegen mich, einen Mann, der ein gottesfürchtiger Christ ist, und ich bitte um Aufschub der Folter, denn ich möchte ein Geständnis machen.«
Wie oft Catheline sich in ihrem Leben übergeben hatte, wusste sie nicht, auch die Anlässe hätte sie nicht näher bestimmen können. Krankheit, verdorbenes Essen und Aufregung waren sicherlich dabei gewesen. Sie wusste nur, als sie den Kopf beiseitedrehte, dass sie sich noch nie vor Erleichterung erbrochen hatte.
Obwohl die Sonne seit Tagen vom Himmel lachte, war es im Saal des Schlosses, in dem das Gericht tagte, heute wieder unerträglich kühl. Als wäre der Sommer an den Mauern desherzöglichen Schlosses gescheitert. Dieser Saal war ein Ort, an dem sich Männer aufhielten, die anscheinend nicht darum wussten, dass Frauen froren und Wärme Behaglichkeit verströmte. Sicherlich war ein Gericht kein Ort der Behaglichkeit, aber die Kälte in diesem viel zu hohen, viel zu großen Saal kroch über die Füße die Beine hinauf, von den Fingerspitzen die Arme entlang bis in den Leib. Eine Kälte, die nach den schlaflosen Nächten zweifellos dazu angetan war, den ohnehin bleischweren Körper vollends zu entkräften. Bérénice zog den Umhang enger um ihren Leib und spürte, dass ihr Blick flackerte, dass es ihr schwerfiel, sich zu konzentrieren.
Amédé hatte das Gericht anerkannt, die Richter um Entschuldigung gebeten und darum gefleht, dass das Urteil der Exkommunikation aufgehoben werde. Wie es schien, war sie auf dem besten Wege, demnächst als Ehefrau eines Mörders durch die Welt zu gehen. War sie auch eines der Opfer, eines, das weiterlebte? Eine einsame Frau, der, wenn sie vorbeiging, das Getuschel der Menschen folgte? Die geflüsterte Fragen hörte, warum sie nichts bemerkt, nichts gesagt hatte? Ihr Leben zerbrach. Langsam entstanden Sprünge in der Fassade, noch fein wie Haarrisse, die sich jedoch immer weiter zogen und demnächst alles einstürzen lassen würden. Bis ihr Leben zerfiel, würde sie darum kämpfen, jeden Tag wieder in der Ecke dieses Gerichtssaals zu sitzen. Versuchen, Amédés Aussagen zu folgen, die Antworten der Richter zu verstehen, die Anwesenden zu mustern und sich deren Gesichter einzuprägen. Um gewappnet zu sein, wenn sie einem von ihnen jemals außerhalb dieser Mauern begegnen sollte.
Anstatt sich an Juliens Anwesenheit zu wärmen, sich gedanklich am einzigen Lichtblick ihres momentanen Daseins festzuhalten, spürte sie, dass das Flackern hinter ihren Lidern sich verstärkte. Dass ihr Atem kürzer wurde. Dass der Gerichtssaalhin und wieder seine wenigen Farben verlor, die Bilder in ein Schwarz und Weiß überglitten.
Ein. Aus. Ein. Aus. Die Hand unter dem Umhang auf den Brustkorb gepresst, spürte sie ihrem Atem nach und sah sich nach Francine um. Früher hatte sie gesungen, voller Inbrunst, hatte Lieder aus ihrem Inneren hervorgeholt, die jeden berührt hatten. Wann war sie verstummt? Francine, die sich weigerte, mit ihr ein Wort zu wechseln, obwohl sie sich ein Gemach teilten. Auch Schweigen konnte entkräften.
»Ich erteile Euch hiermit«, vernahm sie wie aus weiter Ferne die Stimme des Bischofs,
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