Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
es jeder versteht, dass jeder von meiner Schande erfährt. Vielleicht stimmt dies Gott ein wenig milder, vielleicht erlaubter mir, mich von meiner Schuld loszusagen. Denn Ihr habt recht: Ich muss mich von dem, was ich mir aufgeladen habe und an Leid über andere gebracht habe, befreien.« Er seufzte schwer und sah auf seine Hände. »Ich bin ein gottesfürchtiger Mann, auch wenn das niemand mehr glauben mag.«
Julien atmete tief durch.
»Wo soll ich beginnen?«, fragte der Baron und presste seine Finger auf die Schläfen.
»Beginnen wir mit dem Mädchen aus Saint Mourelles. Rachel Authié«, warf Julien ein und ignorierte das Stirnrunzeln des Paters. »Wo ist sie vergraben?«
»Wusstet Ihr, dass sie den bösen Blick hatte?«, fragte der Baron. »Diese dunklen, starrenden Augen. Ich habe es nicht ertragen. Sie ist im Wald von Saint Mourelles, am Hang beim Feenbaum verscharrt. Und falls Ihr das Bettlermädchen suchen wollt: Hauptmann Bouchet hat sie aus Schloss Port-Saint-Luc herausgebracht und weiter entfernt, in der Nähe der Weinfelder, verschwinden lassen.«
Julien sah die Feder des Schreibers über das Papier fliegen. Kurz schloss er die Lider. Ich, Julien Lacante, habe es geschafft, dachte er, ich habe den Baron zu Fall gebracht. Er bekreuzigte sich in Gedanken und wusste nicht, wie er die Wahrheit Bérénice gegenüber in Worte fassen sollte.
Schweigend war er in ihrem Gemach erschienen und vor ihr stehen geblieben. Bérénice hatte geglaubt, spüren zu können, wie Julien ihre Hand ergriff. Doch Francines Anwesenheit, durch lautstarkes Schluchzen nicht überhörbar, hatte zwischen ihnen gestanden und verhindert, dass sie einander halten und für einen Moment zu Atem kommen konnten.
Dann, ganz langsam, hatte Julien genickt und bestätigt, was Bérénice befürchtet hatte. Amédé hatte eine Aussage gemacht und sich belastet. Ungeheuerliche Dinge musste Julien gehört haben, denn er war blass und kraftlos, wie Bérénice ihn bisher nicht erlebt hatte. Eine Erschöpfung, die sie ebenfalls kannte.
Bérénice hatte es ihm abgenommen, Worte für die Ungeheuerlichkeiten finden zu müssen. Sie hatte erklärt, dass Amédé ihr selbst von seinen Taten berichten sollte.
»Ludwig de Troyenne ist im Kampf für Frankreich ums Leben gekommen. Wir haben heute Vormittag Nachricht erhalten, und ich wünsche meinen Mann zu sprechen«, hatte sie dann angefügt und gehofft, dass Julien all die Dinge hören konnte, die sie zwischen ihren Worten sagen wollte.
Er hatte zur Tür gewiesen: »Dann folgt mir bitte. Die Vernehmung ist für heute beendet, der Baron wird Euch sicherlich empfangen können.«
Für einen Augenblick hatte Bérénice gehofft, dass sie nun allein mit Julien sein könnte, in einem der weitläufigen Flure des Schlosses. Doch Francine war ihnen ungefragt gefolgt. »Der Zustand der Baronin, Magister, Ihr habt es gestern im Gerichtssaal selbst mitbekommen, ist bedenklich. Sie hat einen Schwächeanfall erlitten, und nun belastet sie auch noch der Verlust des Schwagers. Ich bestehe darauf, in ihrer Nähe zu bleiben«, hatte sie mit vorgetäuschter Besorgnis als Begründung angegeben.
Da stand sie nun, in Amédés Gemach, vor ihrem Mann, zwei Wachen, Julien Lacante und Francine als Begleitung in ihrem Rücken. Blicke, die jeden Atemzug verfolgten, jeden Wimpernschlag erfassten.
»Haben sie es dir schon erzählt? Von meiner Aussage?«, eröffnete Amédé das Gespräch in sachlichem Ton.
Bérénice schüttelte den Kopf.
»Dann habe ich dir viel zu erzählen«, sagte er und wies auf die mit Kissen ausgelegte Bank, auf der er saß.
»Bevor du beginnst, möchte ich dir … muss ich dir etwas sagen«, entgegnete Bérénice, ohne sich zu rühren. »Ludwig, er ist tot. Es tut mir so leid, aber dein Bruder ist tot. Irgendwo in der Auvergne ist er umgekommen. Er begleitete den Tross, der Nachschub für die Kompanien des Königs an die Front schaffen sollte. Essen, Wein und Medikamente. Dabei wurde der Tross überfallen.«
Ein Zittern ging durch Amédés Leib. Tränen traten ihm in die Augen, und seine Faust schlug auf den Tisch. Die Wachen fassten nach ihren Schwertern, doch Julien wies sie an, indem er einen Arm beschwichtigend erhob, sich zurückzuhalten.
»Ich hätte dort sein müssen, es war meine Aufgabe. Im Stich habe ich ihn gelassen«, flüsterte Amédé und raufte sich das Haar. »Ich habe ihn im Stich gelassen wie Bruno. Zwei Brüder habe ich auf dem Gewissen.«
»Du kannst nichts dafür«, rief
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