Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
oder gar der Baron sie ansprachen, versagten ihr zumeist die Worte, sodass nicht mehr zur Antwort blieb als ein stummes Kopfschütteln oder Nicken.
»Hauptmann, lasst die Suche nach dem Sohn des Schmieds durch einige Männer der Garde unterstützen. Sie sollen Fackeln mitnehmen«, befahl der Baron. »Wenn die Suche beendet ist, wünsche ich über das Ergebnis unterrichtet zu werden.« Der Baron stieg vom Pferd und verschwand.
Leise schloss Babette den Fensterladen. »Solltet ihr es nicht ohnehin jeden Abend tun, dann schließt wenigstens heute den Baron in eure Gebete mit ein«, sagte sie und löste ihren Haarknoten.
Sie hat recht, stellte Jola fest, wir müssen dankbar sein, dass Amédé de Troyenne der Hüter unserer Leben ist, dass wir ihm dienen und niemand anderem.
Eilends fiel Jola auf die Knie und schloss die Hände zum Gebet.
Saint Mourelles
M athis beugte sich über den Tisch zum Schmied vor, blickte dabei zu Marie hinüber, die ihre
Haarpracht heute nicht zu einem Zopf zusammengebunden hatte, der den Umfang eines Kinderarmes hatte. Vielmehr hatte sie es nachlässig zu einem Knoten im Nacken gedreht, der einem zerrupften Vogelnest ähnelte und schwer in ihrem Nacken hing. »Hat sie überhaupt geschlafen?«, fragte er mit gesenkter Stimme.
Yann schüttelte den Kopf und strich seiner Tochter gedankenverloren über den Kopf, als sie einen Becher Wasser an ihm vorbeitrug.
Mathis beobachtete die Kleine und fragte sich, warum er sich die Namen der drei kleineren Kinder des Schmieds nie merken konnte. Das Mädchen, das Cécile hieß oder auch Camille, war vor gut sechs Jahren auf die Welt gekommen. Die Zwillinge, zwei Jungen, waren kaum ein Jahr später gefolgt. Jeder, der von ihnen sprach, nannte sie kurz und knapp »die Zwillinge«. Ob außer Yann und Marie überhaupt irgendwer ihre Namen kannte?
Cécile, die vielleicht aber auch Camille hieß, trug den Wasserbecher zu Yanns Mutter hinüber, die in einem Lehnstuhl in der Nähe des Feuers saß. Ihr Blick ging ins Leere, und Speichel rann ihr das Kinn herab. Das Kind nahm einen Lappen, der auf dem Brustkorb der Alten lag, wischte den Speichel fort und setzte den Becher an den halb offenen Mund. Seit Yanns Mutter im Herbst wie vom Blitz gefällt gestürzt war, wusste niemand, ob sie noch imstande war, ihre Umgebung wahrzunehmen. Die Zwillinge hockten neben der Bettstatt auf einem Kuhfell, vor ihnen lagen Tannenzapfen, Steine, und irgendwer hatte aus Stroh Figürchen gebunden. Nichts davon rührten die beidenan, saßen Schulter an Schulter und ließen ihre Mutter nicht aus den Augen.
Marie lief um die Feuerstelle, immer wieder und wieder. »Die Spielleute haben ihn entführt«, sagte sie unvermittelt. »Ich sage es euch. Bestimmt haben sie ihn entführt, ich spüre das.« Sie blieb stehen und rang die Hände. »Sie haben ihn als Sklaven nach Algerien verkauft! Ja, ich habe gehört, dass der Pfarrer davon sprach. Algerien ist weit weg, sehr weit weg, und das gibt es tatsächlich, dass Menschen dorthin verschleppt werden. Überlegt einmal, Raymond ist durch seine Arbeit in der Schmiede schon sehr kräftig für sein Alter. Und hübsch ist er mit seinem schwarzen Haar obendrein.«
Sie schob eine Strähne, die sich aus dem Knoten gelöst hatte, zurück in das Wirrwarr, das in ihrem Nacken baumelte, und ihr Blick schien nach innen gerichtet, als sie fortfuhr: »Der Schnee, der heute Nacht gefallen ist, hat auch die letzten Spuren, die man hätte finden können, verwischt. Wir hätten die Suche nicht abbrechen dürfen.« Maries Stimme wurde brüchig. »Denn wenn Raymond irgendwo erschöpft liegt, vielleicht verletzt ist, dann ist er jetzt erfroren.« Jetzt wandte sie den Blick auf die Männer. »Wisst ihr, was das heißt?«, schrie sie auf.
Cécile, die vielleicht auch Camille hieß, versteckte sich hinter Yanns Mutter, die erschrocken kehlige Laute von sich gab. Die beiden Jungen auf dem Kuhfell begannen zu brüllen.
»Beruhige dich. Denk an die Kinder. Du weißt, dass der Schneefall zu stark war. Die Reiter wie auch die Suchtrupps, die zu Fuß unterwegs waren, konnten kaum die Hand vor Augen sehen«, erwiderte Yann kraftlos. Gegen das Brüllen seiner Söhne kam er nicht an.
»Mein Kind ist weg!«, schrie Marie erneut auf. »Wisst ihr, was das für mich heißt? Was hockt ihr dann hier noch herum? Geht los und sucht meinen Sohn, bevor es mich zerreißt.«
»Wirst du zurechtkommen?«, fragte Yann behutsam, und die Wut in Maries Augen war Antwort
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