Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
zurückgedrängt hat.«
»Wen interessiert da noch deine Garde? Der König hat sein Heer, sein eigenes stehendes Heer, und dafür ruft er Steuern auf. Und der Bretagne geht es gut, so gut wie schon lange nicht mehr. Seit Jahren ist hier Frieden, es gibt keinen Hunger, und für die Söldnerbanden, die umherirren, sollte auch eine herkömmliche Wachmannschaft genügen. Sieh es ein: Herzog Johann versteht sich nicht nur gut darauf, sich deine Ländereienanzueignen, er versteht sich auch auf das Paktieren, das der Bretagne Frieden beschert. Niemand braucht diese Garde mehr. Der König und der Herzog nicht und wir schon gar nicht.«
Nun sprang Amédé auf, wobei er den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, umwarf. »Was ist nur aus uns geworden? Wie kannst du es wagen, derart mit mir zu sprechen? Es gab Zeiten, in denen …«
»Es gab Zeiten, in denen hast du das Geld nicht zum Fenster hinausgeworfen und dich zum Narren gemacht«, unterbrach Bérénice ihn. »Was ich vergaß zu fragen: Welches Stück Land ist es dieses Mal?«
»Es ist Port Boureton.«
Port Boureton, eine der schönsten Ländereien, die er besaß. Dort hatten sie kurz nach der Hochzeit einen Sommer verbracht. Eine arrangierte Hochzeit, und doch hatten sie sich gefunden und geliebt. Wieder und immer wieder. Es war eine Zeit gewesen, in der sie noch gewusst hatte, wie seine Haut sich anfühlte, wenn er atemlos über ihr lag. Eine Zeit, in der sie sich Amédé so schamlos hingegeben hatte, dass sie Gott nach jedem Akt in ihren Gebeten reumütig um Vergebung bat. Gut neun Jahre lag das zurück. Neun lange Jahre, in denen sie einander unmerklich langsam fremd geworden waren.
Port Boureton.
Er musste doch die gleichen Erinnerungen haben.
»Dort wollten wir unser Kind taufen lassen, wenn wir eines bekommen hätten.«
Bérénice konnte sehen, dass er das Wort eher an sich selbst denn an sie gewandt hatte. Das ist es also, was du mit Port Boureton verbindest, schrie es als Antwort in ihr auf. Der Schoß deiner Frau, der sich nicht füllen wollte, obwohl du kaum von ihr gelassen hast. Über die Jahre sind deine Versuche, einen Sohn zu zeugen, seltener geworden, bis du sie ganz eingestellthast. Sie spürte, dass ihre Wangen anfingen zu glühen. Wir haben also nicht die gleichen Erinnerungen an diesen Sommer. »Verkaufe Port Boureton, wenn das alles ist, was du mit diesem Stück Land verbindest.«
»So habe ich das nicht gemeint«, Amédé kam auf sie zu und versuchte, sie an sich zu ziehen. »Das war ein schöner Gedanke, den wir damals hatten. Ich wollte nicht …«
Mit einer hastigen Bewegung schüttelte Bérénice ihn ab. »Damals! Ja, das ist lange her. Und ich sage es dir nur einmal: Wage es nie, auch nur eine der Ländereien zu verkaufen, die ich mit in die Ehe gebracht habe. Sonst geschieht ein Unglück.« Sie hatte keine Vorstellung, wie dieses Unglück aussehen sollte. Doch die Worte klangen gut, waren sie doch groß und gewaltig, und die Wut, die sie mit einem Mal fühlte, passte in sie hinein.
Saint Mourelles
I n der Nacht hatte Catheline kaum Ruhe gefunden und sich ihren Gedanken gefügt, die zwischen dem verschwundenen Raymond und dem verloren gegangenen Mathis hin- und hergeirrt waren. Und als wolle sie ewig währen, trotzte die Dunkelheit der Nacht heute der Sonne, die nicht hinter den Wolken hervorkommen wollte. Obwohl die Bäume kein Laub trugen, schienen sie das wenige Licht des Tages zu schlucken.
Müde schaute Catheline nun auf Gabins Rücken, und ein Gefühl der Feindseligkeit stieg in ihr auf. Dieser Maulheld trieb die Suchenden durch das Unterholz des Waldes, als würde es kein Morgen geben. Grete schnaufte mit hochrotem Kopf, und selbst der Bauer Martin hatte sich ihnen angeschlossen. Ohne Aufhebens hatte er Ysa, Rachel und den kleinen Luc allein zuHause gelassen, doch auch seine Tatkraft war erloschen. Unwirsch stapfte er, seine dichten Augenbrauen vor Anstrengung zusammengezogen, durch den kniehohen Schnee. Gabin bemerkte von alledem nichts und ließ an seiner Überzeugung, dass Raymond sich den Spielleuten angeschlossen hatte, keinen Zweifel aufkommen.
Seit sie aufgebrochen waren, fror Catheline. Ihre Füße waren kalt, denn das Leder der Schuhe war längst durchnässt. Ein anschwellender Hunger machte sich bemerkbar, und der Drang, endlich Wasser zu lassen, schmerzte inzwischen. Sie passte einen Felsvorsprung ab, hinter dem sie sich flugs zurückzog und den Rock anhob. Nur einen Moment hatte sie die Suchenden aus den Augen
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