Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
abwandte, um mit ihr zum Fluss hin aufzubrechen, »dass der Junge freiwillig mit den Spielleuten gegangen ist. Alt genug ist er ja, sich selbst zu versorgen. Yann hat ihn bei der Arbeit in der Schmiede oft zu hart rangenommen.«
Erschrocken sah Catheline zu Yann hinüber, der versuchte, seine Frau mit sich zu zerren. Durch Maries lautstarkes Gezeterschien er die Anschuldigung des Nachbarn nicht vernommen zu haben.
Doch Mathis hatte die Schmähung erreicht. Er hob seinen Treibstecken in die Höhe und stieß ihn gegen Gabins Brust. »Solltest du noch einmal falsches Zeugnis ablegen über Menschen, die in Sorge um ihr Kind vergehen, werden wir ein ernstes Wort miteinander reden müssen. Also, wenn du im Frühjahr wieder meine Schafe auf die Weiden treiben willst, um für deine Frau und Kinder Sorge zu tragen, solltest du darauf achten, dass wir gute Nachbarn bleiben.«
Gabin schob den Treibstecken beiseite, zuckte die Schultern und setzte seinen Weg, eine Antwort schuldig bleibend, fort.
Jetzt kamen die Tränen. Catheline blieb auf der Lichtung stehen. Hinter ihr stritten Yann und Marie sich weiter, vor ihr verschwanden Mathis und Avel in der Dunkelheit des Waldes. Genau deshalb liebe ich dich, Mathis, rief sie ihm in Gedanken hinterher. Du bist noch der Mann, der du vor dem Überfall warst. Streng sicherlich, aber gerecht durch und durch. Du kannst mir glauben, dass das letzte Wort noch längst nicht gesprochen ist.
Bischofspalast in Nantes
D er Schnee, den er an seinen Schuhen hereingetragen hatte, war inzwischen zu Wasser geworden und
bildete eine gräuliche Pfütze auf dem Marmorboden. Julien rutschte auf der dunklen Holzbank, die mit feinen Schnitzereien verziert war, hin und
her. Sein Blick glitt von der Tür, die kein Geräusch preisgab, durch den weitläufigen Flur. Farbenprächtig, aber wahllos in ihren Darstellungen hingen
großflächigeTeppiche an den Wänden. Desinteressiert musterte Julien sie: der brennende Dornenbusch, Mariä Verkündigung, die Taufe Jesu
durch Johannes den Täufer im Jordan. Für einen Moment zog die Darstellung von Jesus am Kreuz seine Aufmerksamkeit auf sich, über der eine Zeile aus dem
Johannesevangelium eingewebt war: Siehe, das ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt.
Julien seufzte. Wann würde er es fertigbringen, Bischof du Clergue zu begegnen, ohne dass seine Hände vorher schweißnass wurden? Dem Mann, von dem man
sich zuflüsterte, dass er die Geschicke des Herzogtums der Bretagne in Händen hielt. Von dem man behauptete, dass Herzog Johann ihn den eigenen Brüdern
vorzog, ihn als »geliebten Gevatter« bezeichnete. Gedankenverloren begann er, die Schneepfütze mit den Schuhen zu verwischen, und brach ab, als er bemerkte, dass die Nässe sich mit weiterem Schmutz vermengte und immer breiter und dunkler über den Boden zog.
Als die Tür sich öffnete, sprang Julien hastig auf und griff nach seiner Tasche. Der Generalvikar der Diözese, ein schweigsamer Mann mit stets tadellos rasierter Tonsur, ließ ihn eintreten, bevor er sich mit einem Kopfnicken verabschiedete.
Julien verbeugte sich, und noch während er die rechte Hand ergriff, die ihm der Bischof zum Kuss des Siegelrings entgegenhielt, rechnete er nach. Vor gut zwölf Wochen war er direkt nach der Beendigung des Studiums der Rechte im italienischen Bologna in Nantes eingetroffen. Doch bisher hatte er Seine Exzellenz nur selten zu Gesicht bekommen. Und noch immer überkam Julien in dessen Gegenwart das Gefühl, dass er selbst, auch wenn sein Vater ein wohlhabender Tuchhändler in Paris war, mit einem Makel behaftet war. Magister Lacante entstammte keinem Adelsgeschlecht und war kein Geistlicher, sondern der Sohn eines Bürgerlichen.
Der Bischof saß an seinem Rechentisch. Eine der zahlreichen Laden, gefüllt mit Rechensteinen, stand offen. Ein Schreibbüchlein lag aufgeschlagen vor ihm, Zahlenkolonnen darin. Dies wie auch der Abakus und das geöffnete Tintenfass zeugten davon, dass der Bischof soeben gearbeitet hatte.
Doch nun schaute er über den Rechentisch hinweg zum Fenster hinaus, das einen beeindruckenden Ausblick auf die Dächer Nantes’ und das Schloss des
Herzogs eröffnete. Die Hände hatte der Bischof wie zum Gebet geschlossen und ließ die Daumen umeinanderkreisen. Es schien, als hätte er vergessen, dass
er seinen Schreiber und Notar zu sich hatte rufen lassen. Auf seiner hermelingefütterten Soutane ruhte das Brustkreuz, hob und senkte sich unter den
gleichmäßigen
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