Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
gegraben hat?, überlegte Jola und strich mit den Fingerspitzen über ihre Stirn. Eine widerliche Fettschicht blieb auf ihren Fingern kleben. In die Küche hinunterzugehen und aus dem Bottich einen Krug Wasser zu holen, um sich über der Schüssel zu waschen, war undenkbar. Zu weit schien ihr der Weg. Auch Ania, die viel Wert darauf legte, sauber und gepflegt zu sein, sogar einen doppelreihigen Holzkamm mit zahlreichen Zinken ihr eigen nannte, mit dem sie sich gegenseitig immer wieder Knoten und Filz aus den Haaren herauslösten, sah heute darüber hinweg, dass sie verschwitzt und stinkend ins Bett fiel.
Jola lauschte. Es war tatsächlich Ruhe im Schloss eingekehrt, und vor ihnen lag der kärgliche Rest einer Nacht, die mit tiefem und traumsattem Schlaf lockte. Die Kammer der Mägde befand sich direkt über der Küche und war vom Ofen, der unentwegt gebollert hatte, gewärmt. Im Sommer war diese Küchenhitze, die ihren Weg überall hinzufinden schien, ein Fluch. Sobald jedoch der Herbst Einzug hielt und die Kälte des Winters vorankündigte, fürchtete Jola, dass irgendwer im Schloss bemerkte, wie warm und trocken sie es hatten. Dass irgendwer die Kammer für sich beanspruchte und sie in eines der kalten und zugigen Nebengelasse abschob. Sie deckte sich mit dem Schaffell zu und vernahm das Knistern des Strohsacks, den sie kurz nach Erntedank frisch gefüllt hatte, sodass sie meinte, noch immer den Sommer zu riechen.
Es war die Stimme des Hauptmannes, die Jola und die beiden anderen Mägde aufhorchen ließ, dieser stets unterkühlte Tonfall, der aufdringlich laut im Hof erklang.
Ania erreichte zuerst die kleine Luke und entriegelte die Holzlade, um sie vorsichtig aufzuschieben. Kalte Luft wehte ihnen entgegen, als sie sich zu dritt drängten, um in den Hof zu spähen.
Jola entdeckte Mathis, den sie fast nicht erkannt hätte, denndie Schwärze der Nacht und der wollene Umhang gaben ihm ein beliebiges
Aussehen. Aber seine Stimme war unverwechselbar, sie wärmte wie kaum eine andere. Catheline weiß zu schätzen, was für einen Mann sie an ihrer Seite hat,
sie muss es wissen, dachte Jola und bemerkte, dass Ania starr auf den Schatten im Hof schaute und mit schräg gelegtem Kopf lauschte. Ihr Haar fiel von
der Schulter herab, honigfarbenes Haar. Ein Farbton, der selbst nächtens noch zu leuchten schien und die Männer verrückt machte. Und wenn ich mich nicht
spute, werde ich eine der Übriggebliebenen sein. Werde mir mit Babette dieses Kämmerlein teilen, bis wir eines Tages bei der Arbeit umfallen.
»… vielleicht kennt Ihr ihn, es ist der Sohn des Schmieds, ein Bursche von gut zwölf Jahren. Habt Ihr ihn gesehen?«
»Weil bei dir, Bauer, im Dorf ein Halbwüchsiger verschwunden ist, kommst du zu mir und verschwendest meine Zeit?« Hauptmann Bouchet schien direkt unter der Fensterluke zu stehen. Erschrocken wichen die Frauen einen Schritt zurück, damit er sie nicht beim Lauschen erwischte. »Vielleicht war er hier«, fuhr er fort, und Spott mischte sich in seine Stimme, »vielleicht auch nicht. Und sollte er hier gewesen sein, wer weiß, ob er sich nicht von irgendwelchen Gästen als Page hat anwerben lassen. Dem wird es überall besser gehen als in eurem kleinen Drecksdorf.«
Es war mitnichten so, dass Jola etwas von Pferden verstand, aber den Hufschlag, der nun im Hof ertönte, meinte sie stets unter Hunderten von Pferden heraushören zu können: Es war das Pferd des Barons.
Fragend schauten Babette, Ania und Jola einander an, jede von ihnen schien zu überlegen, woher der Schlossherr zu der späten Stunde und bei dieser Kälte kam.
»Dieser Bauer wollte gerade wieder gehen«, begrüßte Hauptmann Bouchet den Baron.
»Dieser Bauer heißt Mathis, das wisst Ihr sehr wohl, und Ihr wisst auch, dass seine Belange bei mir Gehör finden. Insofern weise ich Euch an, ihn stets so zu behandeln, wie ich es machen würde«, entgegnete der Baron.
Mit aufgerissenen Augen schauten die Frauen einander an, Ania schlug sogar die Hand vor den Mund. Gut, dass wir bereits Nachtruhe haben, fuhr es Jola durch den Kopf, und keine von uns mehr dem Hauptmann begegnet. Sicherlich glüht er vor Wut darüber, dass ihn der Baron vor einem Bauern maßregelt.
Sie lächelte. Wunderbar! Zu schön, dass wir diesen Augenblick miterlebt haben.
Mathis bedankte sich förmlich. Mit wenigen Worten wiederholte er sein Anliegen, so gewandt, als würde er Tag um Tag mit dem Baron das Wort wechseln. Jola war beeindruckt. Sobald die Baronin
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