Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
Umgebung und sahen es sofort. Aus dem Weiß des Schnees, dem Grün der windschiefen Kiefern, dem Braun der blattlosen Bäume und dem Grau der Felsen stach ein anderer Farbton hervor. Ein greller Rot-Ton. Direkt unter ihnen.
Der Körper eines jungen Mannes, in seinen Umhang verwickelt, beide Beine angewinkelt. Das Gesicht in den Schnee gedreht, der sich auf Kopfhöhe rot gefärbt hatte.
Avel.
Sollte dies eine Nachtmahr sein, war sie direkt aus der Hölle gesandt. Sollte dies keine Nachtmahr sein, war die Hölle auf Erden gekommen …
Schloss Troyenne
J ola drehte die Winde und ließ den hölzernen Eimer in den Brunnen hinabgleiten, während sie beobachtete, wie der Baron über den Hof eilte. Direkt auf sie zu. Sie wandte sich dem Eimer zu, der sich inzwischen mit Wasser gefüllt hatte, und begann, ihn hochzuziehen. Eisstücke schwammen im Wasser. Am Morgen hatten die Knechte mit einem schmalen Holzstamm die Eisschicht im Brunnen durchstoßen müssen, die sich über Nacht gebildet hatte.
Der Baron eilte an ihr vorbei, hielt aber nur wenige Schritte von ihr entfernt inne. Jola folgte seinem Blick: Einer der Männer der Garde mühte sich mit seinem Pferd ab, das unruhig schnaubte und sich dann aufbäumte.
Ein leichtes Zittern durchlief den Baron. Jola war unsicher, ob ihre Augen sie täuschten, aber als er die Hand hob und über seine Stirn wischte, sah sie, dass das leichte Beben, das seinen Leib erfasst hatte, bis in die Finger hineinreichte. Der Knappe hatte erzählt, dass der Baron kaum noch schlief, sondern in seinem Gemach auf und ab wanderte, ihn sogar mitten in der Nacht, weit nach der Matutin, hatte rufen lassen, um eine Partie Schach zu spielen. Er leidet. Seit die Frau Baronin weg ist, leidet der arme Mann, dachte Jola und fühlte sich bei diesem Gedanken selbst unglücklich.
Die Tür der Kapelle öffnete sich. Pater Bertrand. Der schönste Mann Gottes, so nannten ihn die Frauen des Schlosses hinter seinem Rücken. Sie taten recht daran, denn es war immer wieder eine Freude, ihm zu begegnen. Mit seinem kurzen Nicken und dem warmen Lächeln, das er ihr zuwarf, löste sich das Mitleid in Jolas Bauch in Erleichterung auf. Denn der Pater sprach den Baron an, legte seine Hand auf dessen Schulter, und das Zittern verebbte.
Wasser schwappte über Jolas Hände, als sie den Eimer aus dem Brunnen zog und vom Haken löste. Genug, schalt sie sich. Ich darf nicht säumig sein. Sie seufzte und machte sich auf den Weg zur Küche. Pater Bertrand ist ein guter Mann, überall hilft er, hat immer ein offenes Ohr. Ihm liegt wirklich etwas an unserem Seelenheil. Doch vor allem ist er dem Baron eine große Stütze. Gott hat wohlfeil ihn auserkoren, um ihn nach Troyenne zu schicken. Sie schmunzelte, als sie daran dachte, wie der Pater letzthin Holz gehackt hatte und fast jedes der Weiber, das auf dem Schloss lebte, meinte, mit einem Mal auf dem Hof schaffen zu müssen.
»Meine Gute, hast du einen Schritt am Leib, so warte doch! Warte kurz.«
Die Stimme des Paters. Ob er mit ihr sprach? Sollte sie sich vergewissern, oder würde das vermessen erscheinen? Das Blut schoss Jola in die Wangen, aber sie verlangsamte den Schritt.
Eine Hand legte sich auf den Ärmel ihres Kittels, direkt neben ihr tauchte das Gesicht des schönsten Mannes Gottes auf. »Du hast es aber eilig«, lachte er.
Jola knickste und genoss das Kitzeln, das sich durch den kratzigen Stoff hindurch auf ihrer Haut ausbreitete. Dabei starrte sie auf den Wassereimer in ihrer Hand.
»Eben habe ich mit dem Baron gesprochen. Ich habe ihm empfohlen, auf Reisen zu gehen. Da er auf Port-Saint-Luc ohnehin noch einiges zu erledigen hat, bietet sich das an. Kannst du bitte dafür sorgen, dass sein Gepäck zusammengestellt wird und dass man einen Boten losschickt, der auf dem Gut sein Kommen ankündigt?«
»Gern, das werde ich machen. Wann gedenkt der Baron abzureisen?«
»Oh, in den kommenden Tagen, das hat Zeit. Das wird sich noch finden.«
Wir. Da war ein Wir, du wirst also mitreisen, dachte Jola. Schade, du wirst mir fehlen, hoffentlich bleibt ihr nicht zu lange weg.
»Vielleicht kann einer der Knechte mir auch noch eine Truhe bereitstellen. Denn wir werden einige Bücher und Folianten mitnehmen. Ach, und besorge mir bitte Essig, reichlich Essig, ich möchte noch einen Sud anrühren vor der Abfahrt. Habt ihr in der Küche vielleicht auch getrocknete Brennnesseln?«
»Essig können wir Euch abfüllen, aber Brennnesseln haben wir leider nicht«, sagte Jola und
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