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Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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während sie hinabgestiegen war. Konnte ihr nicht folgen, sienicht an sich ziehen, als sie sich weigerte, wieder zu ihm hinaufzuklettern. Sah sich selbst, wie er auf dem Hang gestanden und schweigend gewartet hatte, weil es keinen Grund mehr gegeben hatte, zu gehen und Hilfe zu holen.
    Mathis nickte.
    Langsam ging der Pfarrer um den Karren herum und beugte sich über Avel. Zog das Tuch auf Hüfthöhe beiseite, nahm die rechte Hand, die seltsam weiß und starr aussah. Musterte sie eingehend. Hob das mit Bartstoppeln überzogene Kinn des Jungen, der dem Alter nach ein Mann gewesen war, und legte den Hals frei. »Es gibt keine Kampfspuren«, stellte er fest.
    »Um ihn herum waren auch nur Cathelines Fußspuren. Oben am Hang konnte man erkennen, dass nur drei Leute dort entlanggelaufen sind: Catheline, denn sie hat kleinere Füße. Dann waren da Mathis’ Abdrücke, eben die mit dem Treibstecken, und noch die von Avel.«
    Mathis blickte den Schmied an, verwundert, was ihm im Angesicht des Todes, einem derart blutigen dazu, aufgefallen war.
    »Was willst du damit sagen?«, fragte Gabin, und sein schmaler Leib spannte sich sichtbar an.
    »Niemand hat ihn gejagt. Er war allein.«
    »Was hast du denn gedacht? Dass ihn meine Söhne dort hinabgestürzt haben?«, fuhr Gabin auf.
    »Es geht nicht immer um dich und deine Söhne«, schnitt der Bauer Martin ihm das Wort ab und zupfte unruhig an einem einzelnen Haar herum, das aus seiner Braue herausragte und ihm vor dem Auge hing. »Yann will damit sagen, dass er allein war und selbst gesprungen ist.«
    »Er hat sich selbst getötet?« In seinem Entsetzen blähte Gabin die Nasenflügel, und seine Augen schienen fast aus den Höhlen zu springen. »Aber dann darf er nach der Totenwaschung nicht in der Kirche aufgebahrt werden. Und auf denFriedhof darf er auch nicht. Wir können ihn nicht in geweihtem Boden beisetzen.«
    »Das entscheide noch immer ich, mein Sohn, wenn ich dich daran erinnern darf. Und ich sehe hier nur den tragischen Unfall eines jungen Mannes, der stets ungestüm und lebhaft war. Dem wir, um seiner Seele und der seiner Mutter willen, nun sein letztes Geleit zu Gott geben werden.« Die Stimme des Pfarrers hatte eine Schärfe angenommen, die Mathis nicht kannte.
    »Das könnt Ihr nicht machen, Vater Jeunet«, erwiderte der Tagelöhner. »Es ist eine Sünde, die er begangen hat. Verrückt war er! Und wer weiß, was er noch für Sünden begangen hat? Seht doch hin, was im Dorf für schreckliche Dinge geschehen …«
    Auch in der Miene des Schmieds zeigte sich nun Unruhe, fragend sah er zwischen Mathis, Martin, Pfarrer Jeunet und Gabin hin und her.
    »Avel war eines der von Gott geliebten Kinder, Gabin. Das sage ich dir nur noch dieses eine Mal. Sie stehen unter dem besonderen Schutz des Herren, und du solltest dich lieber vor den Kräften fürchten, die hier«, der Pfarrer hob seinen Stock und zeigte um sich, »im Dorf ihr Unwesen treiben und nicht vor diesem reinen Herzen, das der Junge einmal war.«
    Mathis war sich nicht sicher, ob es Kälte oder Scham war, die das Gesicht des Schmieds von einem Moment auf den anderen gerötet hatte. »Mit dem Karren brauchen wir zu lange«, sagte Yann nur. »Denn vor Blanches Haus ist der Weg stark vereist. Ich werde ihn tragen.« Er trat vor und nahm Avel auf die Arme, als würde er ein Kleinkind anheben. Ein zu groß geratenes Kleinkind mit starr gewordenem Körper.

Gut Lemoine, Anjou
    B érénice beugte sich vor, um den Schlamm von ihrem Kleid zu schlagen. Eine der Säue hatte sich aus dem Verschlag befreit und war über den Gutshof gerannt. Mehrere Knechte und Mägde hatten mit lautem Geschrei versucht, das verängstigte Tier zurückzutreiben, ohne ihm jedoch Herr zu werden. Der Lärm hatte Bérénice in den Hof eilen lassen, wo sie dem Schauspiel gefolgt war, das sie prächtig unterhalten hatte. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Sau direkt auf sie zugestürmt war. Viel mehr als aufzuschreien und mit den Armen zu wedeln war Bérénice nicht eingefallen, aber immerhin hatte das Tier seinen Lauf gebremst, zur Kehrtwende angesetzt und war dabei ins Schlittern gekommen. Der Schneematsch war in die Höhe gespritzt, ein schwarzbrauner Bogen fliegenden Drecks, und hatte den Rockteil ihres Kleides mit einer dunklen Spur überzogen.
    Noch immer kicherte Bérénice, und noch immer schlug ihr Herz so schnell, dass sie es als Rauschen in den Ohren spürte.
    »Lasst mich das machen«, lachte eine der Mägde, deren Wangen hochrot von der

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