Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
die Arbeiten an diesem Prachtbau vorangehen zu lassen. Von seinem Schloss aus konnte der Herzog die Baustelle beobachten und sich jeden Tag wieder daran ergötzen, dass seine hochfliegenden Pläne Form annahmen. In der Höhe sollte das Gewölbe des Mittelschiffs es mit den Kathedralen von Amiens und Beauvais aufnehmen können. Steinmetze waren angefordert worden, die das Maßwerk der Fenster flammenförmig anordnen sollten. Alles bis hin zu den Balustraden und Emporen stand dem Herzog, wie er stets betonte, schon in seiner Ausgestaltung vor Augen.
Auch der Bischof wurde bei den Besichtigungen stets von Begeisterung gepackt. Wie so oft, wenn der Baumeister die beiden über die Baustelle führte, waren sie Julien einige Schritte voraus. Ohne Unterlass ergingen sie sich in Feinheiten und immerfort neuen Plänen, die selbst eine Außenkanzel nicht ausschlossen. Julien sah es schon vor sich, wie der Bischof in luftiger Höhe über den Vorplatz hinweg predigte.
»Und man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Das hier ist der einzige Kathedralenbau, der momentan in Frankreich stattfindet«, hörte er den Herzog sagen, der stehen blieb und an sich herabschaute. »Aber inzwischen ist mein Schuhwerk durchnässt, ich finde, es ist nicht das richtige Wetter, die Besichtigung fortzusetzen.«
Die Männer drehten sich um und liefen Julien entgegen. Herzog Johann winkte ihn heran.
»Magister Lacante, wie ich vom Bischof hörte, steht eventuell das Anwesen an der Loire von Baron de Troyenne zum Verkauf?«
»Entschieden ist es noch nicht, Eure Hoheit, aber er hat eine Anfrage an Bischof du Clergue gerichtet, welchen Preis jener für Saint Millieux bieten würde. Ein erstes Angebot ist ihm übersandt worden, eines das niedrig genug ist, um noch einen Verhandlungsspielraum nach oben zuzulassen. Insofern sind wir guter Hoffnung, dass er Saint Millieux verkaufen will, ansonsten hätte er sich die Blöße dieser Anfrage nicht gegeben.«
»Das habt Ihr wunderbar gemacht. Einfach wunderbar! Wie ich hörte, plant der Baron gemeinsam mit seinem Bruder, im Falle eines aufflammenden Aufstandes erneut König Karl als treuer Diener zur Seite zu stehen. Ja, er braucht Geld, unsere allseits verehrte Majestät, viel Geld für sein Heer und um sich zu verteidigen. Er hat es nicht leicht.« Der Herzog lachte, blieb stehen, strich seine Handschuhe glatt und tippte mit der in einen braun glänzenden Stoff gewandeten Fingerspitze auf Juliens Brustkorb. »Und Ihr seht mir zu, dass der Baron das Geld nicht von mir bekommt, um es dem König in den Rachen zu werfen. Geld kann er ja bekommen, aber viel Geld will ich – oder vielmehr mein Sohn – nicht ausgeben.«
»Ja, vielleicht macht unser Magister Lacante noch Fortschritte und entwickelt ein wenig Verhandlungsgeschick«, sagte der Bischof, während er zusah, wie der Herzog sich in den Sattel schwang.
Julien schluckte, und seine Schultern zogen sich schmerzhaft zusammen. Doch der Herzog schien die Spitze nicht vernommen zu haben.
Kaum hatte er seinem Pferd die Sporen gegeben, um in Begleitung mehrerer Berittener die kurze Strecke zum Schloss zurückzulegen, schritt der Bischof aus. Schon jetzt zog derGeistliche, zu Fuß in Nantes’ Gassen unterwegs, Blicke von Passanten auf sich.
Diese Bretonen! Der Bischof ist der Schlimmste von ihnen. Warum können die Männer dieses Landstrichs nicht einmal etwas so machen, wie es andere auch machen? Ein Wagen bei diesem Wetter wäre doch durchaus angemessen für einen Kleriker, dachte Julien und hastete ihm nach. »Verzeiht mir, ein Anliegen würde ich gern noch mit Euch besprechen.«
Der Bischof blieb stehen, aus seiner Körperhaltung sprach deutlicher Unwillen. »Meine Spaziergänge dienen der Gedankenertüchtigung, also fasst Euch kurz.«
»Pfarrer Jeunet, er leitet die Gemeinde Saint Mourelles, hat mich informiert, dass es einen Mord gab. Eine Magd des Schlosses Troyenne wurde erwürgt aufgefunden.«
Die Augen des Bischofs weiteten sich kurz. »War es ein Lustmord?«
»Nein, das war es wohl nicht, erschwerend kommt aber hinzu, dass noch zwei Kinder, ein Mädchen und ein Junge, vermisst werden. Der Pfarrer befürchtet, dass auch diese nicht mehr am Leben sind.«
»Ein Mord in meiner Diözese. Vielleicht auch mehrere. Das ist unerfreulich. Warum hat er sich an uns gewandt? Saint Mourelles, das unterliegt doch der Gerichtsbarkeit von Amédé de Troyenne. Welche Vorkehrungen hat er getroffen?«
»Er ist derzeit auf Reisen, und wie es scheint,
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