Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
gibt es momentan niemanden, der sich der Sache annimmt. Ich gehe nicht davon aus, dass Pfarrer Jeunet Erwartungen an Euch stellt, das Anschreiben erweckte eher den Eindruck, als wolle er Euch lediglich darüber in Kenntnis setzen.«
Der Bischof verschränkte die Arme auf dem Rücken und setzte seinen Weg fort, dieses Mal jedoch langsamer. »Es ist eine Schande. Der Vater von Amédé de Troyenne hat sein Lehendamals mit harter Hand geführt, aber sein Sohn lässt die Zügel schleifen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er bisher über irgendwen zu Gericht saß, und wenn es stimmt, was man sich erzählt, ist er sogar nachlässig im Eintreiben der Abgaben. Angeblich hat der Baron seine Zinseintreiber beim letzten Mal erst auf Drängen seiner Frau losgeschickt.«
Julien spürte, dass seine Schultern sich lockerten. Der Bischof hatte, wenn er denn wollte, eine angenehme Stimme, der man gern zuhörte.
»Demnach«, fuhr der Bischof fort, »befürchte ich, dass Pfarrer Jeunet doch Erwartungen hat. Reitet hin und hört Euch um. Ich will wissen, was sich beim Baron de Troyenne abspielt.«
Da war sie wieder: diese bretonische Unberechenbarkeit. Ob es das wechselhafte Wetter war, das die Menschen hier so sprunghaft machte? Was stellte dieser Mann sich vor? »Eure Exzellenz«, Julien bemühte sich, beherrscht zu klingen, »was möchtet Ihr wissen? Worauf legt Ihr Wert?«
Der Bischof hielt noch immer die Arme hinter dem Rücken verschränkt. »Lasst Euch was einfallen. In meiner Position habe ich andere Aufgaben, mit denen ich mich befassen muss.« Dann setzte er seinen Spaziergang zur Gedankenertüchtigung fort.
Die Schmerzen waren wieder in Juliens Schultern zurückgekehrt.
Schloss Troyenne
E s waren die Abende, die Jola besonders zu schaffen machten. Tagsüber hatte sie, seit Babette nicht mehr unter ihnen weilte, so viel Arbeit, dass in ihrem Kopf nur nochPlatz für Angst blieb. Angst, etwas vergessen zu haben und damit den Küchenmeister wieder in seine Raserei zu treiben. Am Tag nach Babettes Beisetzung hatten Anias rot geweinte Augen genügt, dass er mit dem Kochlöffel auf sie eingeprügelt hatte. Sie sei nicht bei der Sache, hatte er gebrüllt und seiner Magd mit dem honigfarbenen Haar einen weiteren guten Grund gegeben, sich erst recht in Tränen aufzulösen. Angewidert hatte er dann von ihr abgelassen und vielleicht geahnt, dass sich sein Wille nicht jedes Mal mit dem Holzlöffel durchsetzen ließ.
»Hier, das ist die Neue«, sagte der Küchenmeister nur, als er an diesem Morgen die Küche betrat. Vor sich her schob er ein Mädchen, das nicht älter als dreizehn Jahre alt sein mochte. Er ließ das Kind neben der Tür stehen und war schon wieder verschwunden.
»Hallo, Kleines, wie heißt du?«, fragte Ania.
Jola sah zu Boden, zu gern hätte sie sich die Ohren zugehalten, um die Antwort nicht zu hören. Sie wollte nicht wissen, welchen Eltern man dieses Mädchen abgeworben und wie viel Geld man ihnen gezahlt hatte, damit ihre Tochter beim Baron arbeiten durfte. Sie wollte den Namen nicht wissen, denn es gab neben dem Hämmern in ihrem Kopf keinen freien Platz mehr, ihn sich zu merken.
»Ich bin Émelie«, sagte das Mädchen, ihre Stimme war so leise und kläglich, dass sich in Jola ein Fünkchen Mitleid regte.
»Kennst du dich aus in Küchenarbeiten?«, hakte Ania nach, und das Kind nickte.
»Dann komm, hilf mir ein wenig, damit ich dir alles andere, was du wissen musst, zeigen kann. Jola, würdest du die Ziegen melken gehen?«
Umgehend griff Jola sich den Holzeimer. Diese Aufgabe, die früher Babette zugefallen war, gab ihr ein wenig Trost. Wennsie bei den Tieren war, fühlte sie sich der Freundin – denn das war sie gewesen, auch wenn es erst jetzt so richtig auf der Hand lag – nahe.
Sie wollte gerade die Küche verlassen, als der Knappe hereinstürzte. Hastig blickte er sich um, ob der Küchenmeister anwesend war, da dieser ihn umgehend hinauswerfen würde. Auch wenn er Knappe war, hatte er hier, bei den Mägden, nichts zu suchen. Hatte hier nicht herumzulungern und noch weniger, wie er es so oft machte, Essen zu schnorren. Atemlos hielt sich der Knappe die Seiten. »Er ist davon unterrichtet worden, und jetzt reiten sie abends immer los«, keuchte er.
Erstaunt schaute Ania den Knappen an. »Wovon redest du?«
»Der Baron wurde gestern Abend, kurz nach seiner Rückkehr, darüber unterrichtet, dass Babette …« Er stockte, zeigte in die Küche und ruderte mit dem Arm herum. »Jedenfalls hat
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