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Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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anzündete und die Kanzel hinaufschritt, die er gewöhnlich kaum nutzte, weil ihm der Aufstieg Schwierigkeiten bereitete, konnte Catheline nicht mehr an sich halten. Sie zitterte, und die Tränen liefen ihr die Wangen hinab.
    »Ich habe es vorhin bereits angesprochen«, sagte Vater Jeunet mit harter Stimme, und sein Blick strich über jeden Einzelnen hinweg. »Wir vermissen schmerzlich ein Mädchen und einen Jungen. Und ein Leben wurde grausam beendet. Babette starb qualvoll, wir wissen nicht genau, was diese arme Seele bis zu ihrem Abschied alles erleiden musste. Aber so ist es von Gott, Unserem Herrn, nicht vorgesehen worden. Wir, allesamt Sünder, ziehen seinen Zorn auf uns, und erst recht, wenn wir zulassen, dass solche Gräuel in unserer Mitte geschehen!«
    Er schwieg und schaute in die Flamme der Kerze, die von seinem Atem flackerte.
    »Sehet euch um. Sehet die Sünder, die ihr selbst seid, kleine und große Sünder, die darauf hoffen, trotz allem Gottes Gnade zu erfahren. Doch einer von uns, eben derjenige, der Babettes Tod zu verantworten hat, sollte jetzt vortreten. Es ist der rechte Zeitpunkt, sich zu offenbaren. Jetzt und hier ist Gott, Unser Herr, zugegen. Wir werden gemeinsam für die verirrte Seele um Vergebung durch Gott, Unseren Herrn, beten.«
    Die Stille, die nach diesen Worten entstand, lastete so bleischwer auf Cathelines Schultern, dass sie kaum zu atmen wagte.Sie fasste Gretes Hand, die ihr mit festem Druck ein wenig Halt gab.
    Niemand trat vor.
    Schmied Yann betete lautlos, seine Lippen bewegten sich unaufhörlich, und der Rosenkranz wanderte durch seine Finger. Seine Frau Marie schluchzte ebenso haltlos wie Blanche. Die eine unfähig, die andere nicht willens, sich zu beherrschen. Verstohlene Blicke huschten durch den Raum.
    »Ein letztes Mal fordere ich denjenigen auf, vorzutreten, der diese Tat zu verantworten hat«, rief Vater Jeunet von der Kanzel herab, dass es Catheline in den Ohren dröhnte. Sie spürte, dass Grete zusammenzuckte und sich der Druck auf ihre Hand verstärkte, bis er schmerzhaft wurde.
    »Tritt vor und gestehe die Wahrheit, mache den Weg für deine Seele zu Gott frei. Gib dir und auch uns Ruhe und Frieden.«
    Niemand trat vor.
    Vater Jeunets Gesicht verzog sich. »Dann sehe ich mich gezwungen, dich zu verurteilen. Gott, Unser Herr, wird entscheiden, ob er dir das Fegefeuer versagen muss, das dich auf deinem Weg zu ihm reinigen könnte. Du wirst fernab von Gottes Herrlichkeit in der Unterwelt die ewige Höllenpein erleiden, man wird dich in den Ofen werfen, in dem das Feuer niemals erlischt.«
    Einige der Frauen schrien auf, und Catheline schloss die linke Hand zur Faust, führte sie zum Mund und biss sich auf den Daumen.
    »Lasst uns zum Abschluss beten«, rief Vater Jeunet und stimmte das »Vaterunser« an, in das ein jeder einfiel.
    Catheline schloss die Augen, und ihre Beine fühlten sich an, als würden sie dem Gewicht des Leibes bald nachgeben. Jetzt war es so weit. Sie atmete flacher, um gegen die Übelkeit anzukämpfen.
    Sie hörte, dass Vater Jeunet Luft holte, und öffnete die Augen wieder. Mit gespitzten Lippen blies er in die Flamme. Sie zuckte und erlosch.
    »Die Seele des Bösen«, brüllte Vater Jeunet, »egal, wo sie ist, hier unter uns oder wo auch immer in Gottes Reich, soll erlöschen wie dieses armselige Lichtlein!« Er ließ die Kerze fallen, und seine krummen Finger krallten sich an der Kanzel fest. Sein Blick jagte durch die Kirche.
    Doch nichts geschah.
    Kein Mund öffnete sich, um vom Schmerz zu künden, niemand sank zu Boden, kein letzter Atemzug wurde getan.
    »Vielleicht ist irgendwo anders jemand nun von Gottes Zorn getroffen worden«, flüsterte Catheline Grete zu und rückte näher an sie heran.
    Grete schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Ich befürchte, es ist noch nicht vorbei«, sagte sie nur.

    Vater Jeunet sah zum Fürchten aus. Sein Gesicht war weiß, die Falten um seine Augen hatten sich vertieft, und der angespannte Zug um seinen Mund hatte sich auch nach der Messe nicht gelöst. Als Catheline das Essen auftischte, erschien er ihr fremd in seinem Schweigen, mit den herabhängenden Mundwinkeln und den unruhig auf die Tischplatte klopfenden Fingern. Doch auch an Mathis, der heute Abend wieder zu Besuch gekommen war, war die Abmahnung nicht spurlos vorübergegangen. Kraftlos und abwesend wirkte er.
    Hatte sich Catheline sonst mit an den Tisch gesetzt, um mit ihnen zu speisen und später im Hintergrund Handarbeiten

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