Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
erledigt, während die beiden sich unterhielten, zog sie sich heute zurück. Vor die Tür. Und hier stand sie nun, zupfte an ihrenLippen und presste ihr Auge gegen ein Astloch im Türholz. Schäbig kam sie sich vor, konnte es aber nicht lassen, das Gespräch der Männer zu belauschen. Zudem wollte sie, wenn sie ehrlich war, ihren Blick nicht von Mathis nehmen. Sie lauschte wegen all der Grausamkeiten, die um sie herum geschahen, und gaffte aber schlichtweg um ihretwillen. Sie schwor sich, ihr schäbiges Vergehen zu beichten, ließ von ihren Lippen ab und legte das Ohr auf das Holz der Tür.
»Es ist doch ausgeschlossen, dass Avel etwas mit Babette zu tun hatte. Sie lebte auf dem Schloss und er hier im Dorf. Soweit ich mich erinnern kann, hat er nie das Schloss aufgesucht«, hörte sie Vater Jeunet sagen.
»Vielleicht sind sie sich im Wald begegnet?«
»Das ist möglich. Ich befürchte, das ist es auch, was die anderen annehmen. Aber wir beide wissen, dass Avel niemandem etwas angetan hätte. Er war die Hilfsbereitschaft selbst.«
Catheline nickte und schaute wieder durch das Astloch, das nur einen begrenzten Ausschnitt der Studierstube zeigte.
»Wir sollten vielleicht in Erwägung ziehen«, fuhr Vater Jeunet fort, »dass wieder Söldnerbanden durch die Gegend ziehen. Wenn sie dieses Mal ihr Lager in der Nähe aufgeschlagen haben, kann es sein, dass Babette ihnen begegnet ist.«
»Verzeiht, dass ich es so offen anspreche. Aber ich nehme an, dass dieses Lumpenpack sich an ihr vergangen hätte. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, denn Babette war nicht verletzt im …« Mathis geriet ins Stocken und sah Vater Jeunet hilflos an.
Der neigte den Kopf und knetete an seiner Lippe herum. Diesem Argument schien er sich, wie auch Catheline, nicht verschließen zu können. »Es gibt noch eine Möglichkeit, die wir zumindest durchdenken sollten«, sagte er. »Es könnte doch sein, dass Raymond noch lebt, Babette ihn erkannt und Jola berichtethat, dass sie ihm begegnet ist. Dann wäre die Nachricht, dass er nicht verschwunden ist, über kurz oder lang bei seinen Eltern gelandet.«
»Aber das wäre doch kein Grund, solche Gräueltaten zu begehen. Warum sollten seine Eltern nicht erfahren dürfen, dass er lebt? Sich irgendwo in der Nähe aufhält?«, fragte Mathis nachdenklich.
Ja, das wäre schön, wenn sie das erfahren dürften. Marie ist am Nachmittag durchs Dorf gelaufen und hat behauptet, ihr Sohn sei am Waldesrand entlanggehuscht, fügte Catheline in Gedanken hinzu. Und nun grämt sich das Mutterherz, dass der Sohn nichts mehr mit ihr zu tun haben will. Aber vielleicht sieht die Ärmste auch nur das, was sie sehnlich zu erblicken wünscht?
Vater Jeunet beugte sich vor, stützte sich auf den Tisch und nahm Catheline die Sicht auf Mathis. »Ja, und auch er ist ein guter Junge, auf dem besten Wege, ein gottesfürchtiger Mann zu werden.«
»Mehrfach habe ich einige Berittene der Garde des Barons gesehen, die in den Wäldern unterwegs sind. Vielleicht schaffen es diese Männer, den zutiefst verängstigten Gemütern um uns herum ein wenig das Gefühl von Sicherheit zu geben.«
Ja, das ist ein Gefühl, das auch mir abhandengekommen ist. Aber Gott ist unser Hirte, der uns aus der Angst und Dunkelheit führt, dachte Catheline und bekreuzigte sich.
Die Lücken, die hier gerissen werden, können wir nicht mehr schließen, dachte Mathis und hinkte dem Wagen hinterher. Noch einmal war der Winter mit aller Wucht zurückgekehrt,und eine bittere Kälte hatte erneut alles durchdrungen. Die letzten Reste Schnee, verdreckt von auftauender Erde, waren zu Eisklumpen verharscht. Sie schienen ein schmutziger Triumph des Winters zu sein, den Frühling noch einmal verdrängt zu haben. Der böige Wind riss an dem Tuch, das auf dem Wagen lag, ein Bild, das Mathis inzwischen fast vertraut erschien. Nur dass dieses Mal nicht Avel oder Babette darunter verborgen lag. Graue Locken schoben sich unter dem Stoff hervor und tanzten im Wind.
Grete.
Ausgerechnet Grete.
Durfte er das denken?
»Wir werden sterben, wir werden alle sterben. Der Teufel ist unter uns.« Eves gellende Stimme riss Mathis aus seinen Gedanken.
»Beschreie es nicht noch, hör auf, seinen Namen im Munde zu führen«, entgegnete Yann.
Der Satz war kaum ausgesprochen, da baute Gabin sich vor dem Schmied auf. »Wie redest du mit meiner Frau? Und sie hat doch recht, den Teufel kann sie nicht mehr herbeirufen, er ist längst hier. Im Wald, im Dorf, bei uns.«
In Yanns
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