Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
Gesicht zuckte es, er kniff kurz die Augen zusammen und ließ Gabin und Eve dann wortlos zurück. Schob den Wagen, der in einer Schneekruste hängen zu bleiben drohte, und schlug kräftig auf das Kummet, damit das Pferd noch einmal mit aller Kraft anzog.
Er wandte sich zu Mathis um. »Ich schäme mich so, dass ich das denke«, flüsterte der Schmied, »aber jetzt habe ich Angst. Noch mehr Angst. Die Berittenen haben keine Söldner, kein Diebesgesindel ausgemacht, nichts und niemand Fremden entdecken können, der sich in den Wäldern aufhält, sonst hätten wir es erfahren. Was ist, wenn Gabin recht hat und jemand vonuns einen Pakt mit dem Teufel eingegangen ist? Und was ist, wenn dieser Jemand mein eigener Sohn ist?«
Mathis wechselte den Treibstecken in die andere Hand und schaute zu Boden.
»Was ist schlimmer? Was meinst du? Ein Sohn, der nicht mehr unter uns weilt, oder einer, der gemeinsam mit dem Teufel Todsünden begeht, aber noch lebt? Ich kann auf diese Frage keine Antwort finden.«
Wir zerfleischen uns. Gegenseitig. Uns selbst. Und ich habe keine Kraft mehr, einzuschreiten oder Halt zu gebieten, dachte Mathis und fand ebenfalls keine Antwort auf Yanns Frage.
Catheline, die auf der anderen Seite des Wagens lief, hatte die Kapuze des Umhangs tief ins Gesicht gezogen, ihr Rücken war rund gebeugt. Als der Wagen vor der Kirche hielt, schloss Eve zu ihnen auf. »Du hast sie gefunden? Es ist schon sonderbar, dass es wieder du warst, die …«
»Wage es nicht, diesen Gedanken auch nur zu Ende zu denken, geschweige denn, ihn auszusprechen«, hörte Mathis sich selbst dazwischenfahren. Er hinkte um den Wagen herum, sein Treibstecken war ihm entglitten. Die anderen wichen zur Seite.
Mit offenem Mund hielt Eve inne, klappte ihn zu und riss ihn dann wieder auf. »Es ist doch wahr«, kreischte sie, »sie hat Avel gefunden, dann Babette und nun auch noch Grete.«
»Jetzt, da man mit Sicherheit sagen kann, dass es nicht Avel ist, der hier umhergeht und mordet, suchst du dir ein neues Opfer? Verbreitest Lügen und Häme? Ist es vielleicht dein Mann, den du decken willst? Hast du uns was zu sagen, das wir wissen sollten?«
»Das ist doch alles Unsinn!«, erklang Blanches Stimme, kalt, wie Mathis sie noch nie gehört hatte. »Mathis, mäßige dich.« Sie sah in die Runde, und als sie sich sicher war, die Aufmerksamkeit aller zu haben, fuhr sie fort. »Nutzt euren Verstand,eure Augen. Oben an der Fundstelle führten Reitspuren vom Tatort weg. Ihr seid darübergetrampelt in eurem Schrecken. Aber mir kann nichts mehr Angst machen und die Augen verschließen. Und deshalb habe ich sie gesehen: Spuren von mindestens zwei Pferden, und ich bin ihnen nachgegangen. Sie führten zum Schloss. Warum denkt niemand an das Naheliegende? An die Berittenen?«
»Sie sollen uns schützen, sie müssen durch den Wald reiten«, entgegnete Yann lahm.
»Aber was ist, wenn die Berittenen nicht nur zu unserem Schutz durch die Wälder ziehen? Wenn einer von ihnen, vielleicht sogar mehrere Gott abgeschworen haben und Sünden auf sich laden? Lasst uns zurückgehen, ich zeige euch, was ich meine.«
»Das ist sinnlos«, antwortete Catheline, hob den Kopf zum Himmel und wies auf erste Flocken, die herabsanken. »Sicherlich ist alles zertreten, und den Rest hat der Neuschnee unter sich begraben, bis wir dort sind. Und selbst wenn der Täter irgendwo mit einem schriftlichen Geständnis am Baum hängen würde, was würde das ändern? Hier hat doch jeder seine eigene Meinung, wer die Schuld an all diesen Unsagbarkeiten trägt.«
Pfarrer Jeunet schob sich zwischen den dicht gedrängt stehenden Leibern hindurch. »Geht nach Hause«, rief er. »Geht zu zweit oder zu mehreren, und lasst die Kinder nicht mehr allein vor die Tür.«
Er nickte Yann und Martin zu, die zögerten und dann Grete packten, um sie in die Kapelle zu tragen.
Der Tisch, den sie für Babettes sterbliche Hülle errichtet hatten, stand noch. Mathis’ Nackenhaare stellten sich auf, als die beiden Männer nun Grete dort ablegten.
»Wir hätten den Tisch abbauen müssen«, sagte Catheline, als hätte sie Mathis’ Grauen gespürt. Sie sank in der Ecke, inder sie schon letzthin gekauert hatte, in die Hocke. »Wenn Vater Jeunet es gestattet, verbrenne ich ihn hiernach hinter der Pfarrei, damit nichts von dem Tisch überbleibt außer Asche, die ich dann vergrabe.«
»Es ist schon zu dunkel, um etwas zu erkennen«, sagte Pfarrer Jeunet, der an den Tisch gelehnt stand und Gretes Schulter
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