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Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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Oktober letzten Jahres die versammelten Generalstände forderten, diesen Horden Einhalt zu gebieten. König Karl reagierte, und es kam zur Bildung der Ordonnanzkompanien. Und noch immer ist es niemand recht zu machen. Söldnerbanden will niemand, und einen König mit militärischem Monopol will anscheinend auch niemand. So steht er auf recht verlorenem Posten.«
    Langsam zog der Bischof aus dem Wirrwarr der hölzernen Steine diejenigen hervor, die für den König und Arthur de Richemont standen. Er stellte sie aufrecht an die Tischkante. Links den König, rechts dessen Berater. »Da stehen sie, die beiden. Am Abgrund. Sollte es dem Thronfolger Ludwig gelingen, den König unter Vormundschaft zu stellen, wird in erster Linie Arthur de Richemont im Fokus der Aufständischen stehen.«
    Mit einem Fingerzeig stieß der Bischof den Stein des Königs um. Nun stand nur noch der Stein Arthur de Richemonts aufrecht. »Er hat den größten Einfluss auf den König, man wird ihn entmachten, und es ist nicht auszudenken, was dann mit ihm geschieht.«
    Die Hand des Bischofs ruhte auf dem Tisch neben dem einzig aufrechten Stein. Langsam hob er den Finger, stieß ihn sanft an, sah zu, wie er schwankte und dann über die Tischkante in die Tiefe stürzte.
    Woher weiß dieser Mann um solche Dinge? Wer informiert ihn?, fragte sich Julien. Die Verschwörungen sind noch im Entstehen, und er sitzt hier am Rechentisch, als hätte er das zweite Gesicht.
    »Richemont ist der Bruder des Herzogs«, sagte der Bischof in das Schweigen hinein und bemerkte nicht, dass Juliens Augenbraue in die Höhe sprang. Tatsächlich war er beeindruckt. Dieser Mann war ein Puppenspieler, und offensichtlich hielt er auch Fäden in der Hand, von denen nicht einmal sein Notar und Schreiber wusste. Fäden, die von Nantes, also vom Ende der Welt, bis weit in den Palast des Königs hineinreichten.
    Der Bischof richtete sich auf, wischte die Rechensteine zusammen und warf sie in die offenen Schübe zurück. »Gut, genug der Spielereien. Ich denke, dass wir für heute fertig sind. Ihr könnt jetzt die vorhin besprochenen Schreiben aufsetzen, oder gibt es von Eurer Seite noch Anliegen?«
    »Ja, eine Kleinigkeit«, antwortete Julien und wusste schon in diesem Augenblick, dass es ein nahezu lächerliches Anliegen war. »Der guten Ordnung halber wollte ich Euch darüber unterrichten, dass Pfarrer Jeunet sich erneut an uns gewandt hat. Nochmals wurde eine erwürgte Frau in den Wäldern Saint Mourelles aufgefunden. Es war abermals kein Lustmord, und es ist völlig unklar, was dort vor sich geht.«
    »Ich sagte doch bereits, dass Ihr Euch damit befassen sollt. Ich kann hier nicht die Aufgaben des Barons übernehmen.«
    »Ja, Eure Exzellenz, ich werde mich der Sache annehmen, vielmehr bin ich bereits dabei«, sagte Julien und ahnte, dass seine nächste Beichte ein Fest für den Pfaffen seiner Gemeinde werden würde. Denn wer, außer ihm, konnte schon von sich behaupten, den Bischof von Nantes belogen zu haben?
    Während Julien seine Unterlagen zusammenraffte, überlegte er, den Vorstoß zu wagen und zu erwähnen, dass er dieser Aufgabe nicht gerecht werden konnte ohne Unterstützung. Dass des Bischofs Versprechen eine leere Geste blieb, solange der Tisch seines Notars sich durchbog von Folianten und unerledigten Aufträgen. Innerlich schüttelte er den Kopf. Der Bischof war nicht nur mit den Gedanken, sondern auch mit dem Herzen in Paris, vielleicht auch im Poitou. Das Fleisch und Blut des Herzogs, seines Zöglings, waren dem Bischof letztendlich doch näher als die allseits gepredigte Nächstenliebe.
    Kurz schaute der Bischof noch einmal auf. »Sind die Kinder gefunden worden, die vermisst werden?«
    Julien schüttelte den Kopf.
    »Nun gut. Die Eltern werden neue Kinder machen, sie wissen ja, wie es geht«, sagte der Bischof. »Aber wie gesagt, es wäre besser, wenn Ihr, Magister, die Verschwundenen noch findet.«

Saint Mourelles
    I rgendein Fieber hatte vor langer Zeit in einem einzigen Winter Gretes gesamte Familie dahingerafft. Drei Jungen, ein Mädchen und den Mann. Einfach so. Nahezu über Nacht war Gretes Lockenpracht damals vor Kummer ergraut. Nie hatte sie sich danach einem anderen Mann zugewandt, hatte sich geweigert, den einen durch den anderen zu ersetzen, noch einmal ein Kind zu empfangen, es in die Welt zu pressen und von vorn zu beginnen. Sie hatte ihre Familie überlebt und keinen Gedanken daran verschwendet, dass sie nun ohne Nachkommen blieb. Niemanden, der

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