Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
ein wenig zu erleichtern. Und ich habe nicht gesagt, dass du keine Abgaben mehr zahlen sollst«, sagte er und schlug Mathis auf die Schulter.
Sie standen und lauschten dem Wind, bis der Baron sich ihm wieder zuwandte. »Wie war das … du weißt schon, in diesem Kampf? Ich meine, aus deiner Sicht?«
Mathis zögerte. Was wollte der Baron wissen? Welchen Zweck verfolgte diese Frage?
»Ich frage nur … Meine Erinnerungen, sie verschwimmen ein wenig«, fügte der Baron hinzu, als hätte er Mathis’ Gedanken erraten. »Lass uns langsam zurückreiten, dann kannst du mir davon erzählen, wenn du magst.«
Mit weichen Gliedern zog sich Mathis in den Sattel hinauf, und die Gedanken in seinem Kopf rasten. Womit sollte er beginnen? Wie sollte er das Grauen in Worte fassen? »Das Gebrüll des Kampfes, es hat mich von meiner Falle weggelockt. Ich sah Euch, Ihr wart bereits in Bedrängnis, die Männer derGarde, die Euch begleiteten, waren entweder verwundet oder tot.«
Der Baron saß in seinem Sattel, den Blick nach vorn gerichtet, doch offensichtlich weit weg mit seinen Gedanken.
»Dann stürzte das Pferd, es begrub Euch unter sich.« Mathis geriet ins Stocken. »Euer Bruder Bruno eilte zu Euch, wollte Euch …«
Ein Zittern, als hätte ein Kälteschauer ihn frösteln lassen, durchlief den Baron. »Lass es gut sein«, unterbrach er Mathis. »Was sollen wir uns diesen wunderbaren Tag mit fürchterlichen Dingen vermiesen. Aber sage mir noch, was für ein Landsmann war dieser … Weißt du es?«
Mathis betrachtete in seiner Erinnerung das vom Hunger ausgemergelte Gesicht des Söldners. Ein Bart, schwarz und verfilzt wie das Haar, das bis auf den Rücken hinabfiel. Die dunklen Augen, die Gier nach Beute in ihnen. Ein dürrer Körper in Lumpen, die vor Dreck nur so starrten. Einzig sauber gehalten war das Schwert, das sirrend in die Luft erhoben wurde. »Nein«, sagte er, »ich weiß nicht, was für ein Landsmann er war.«
Wortlos trieben sie die Pferde an, die in einen gemächlichen Trab verfielen. »Erlaubt mir die Frage«, begann Mathis, um das Thema zu wechseln, »hat bei Euch im Schloss ein junges Mädchen die Arbeit aufgenommen? Sie heißt Nene, und ihre Schwester sucht sie.«
»Oh, ich kenne beileibe nicht alle Bediensteten meines Schlosses«, sagte der Baron, und Mathis spürte, dass sich seine Wangen rot verfärbten.
Wie konnte ich den Baron mit diesem Anliegen behelligen, schalt er sich. »Ihr habt recht, verzeiht mir die Frage, sie war dumm.«
»Nein, ich verstehe das. Man macht sich derzeit um jedenMenschen Sorgen, der in unserer Nähe ist.« Er zügelte sein Pferd. »Aber das Mädchen, an sie kann ich mich erinnern, der Name blieb mir im Kopf. Ich kann dich beruhigen: Sie ist zum Gut Lemoine geschickt worden, weil dort noch fleißige Hände für die Aussaat gebraucht werden.« Inzwischen hatten die beiden das Schloss erreicht und ritten über die Zugbrücke hinweg. »Kennst du sie?«, fragte der Baron.
»Nein, lediglich ihre Schwester, die mich nach ihrem Verbleib fragte. Gern werde ich dem Mädchen ausrichten, dass es Nene gut geht«, sagte Mathis, während er sich auf dem Schlosshof umsah. Doch der weizengelbe Schopf der Magd Ania war nirgends zu entdecken.
Saint Mourelles
V ater Jeunet war in seiner Studierstube am Tisch eingeschlafen. Behutsam legte Catheline eine wollene Decke über seinen Schoß und schlich zur Tür, die sie hinter sich schloss. Die Zeit würde sie nutzen, um die Küche auf Vordermann zu bringen, beschloss sie und blickte sich um. Das Geschirr musste gewaschen und das Essen zubereitet werden.
Ein lautes Klopfen an der Haustür schreckte sie aus ihren Überlegungen. Verärgert hastete Catheline durch den Flur. Vater Jeunet schläft, dachte sie, endlich findet er ein wenig Ruhe, da darf niemand ihn stören. Das lasse ich nicht zu. Sie spürte, dass unter ihrer Wut Angst lag: Wer stand vor der Tür und wünschte den Pfarrer zu sprechen? Würde wieder irgendwer schlechte Nachrichten überbringen? Sie verbot sich diese Gedanken und flüchtete sich erneut in ihren Ärger: Vater Jeunet schläft, und dabei bleibt es! Sie sog den Brustkorb voll Atemund riss die Tür auf. Die Luft entwich gemeinsam mit ihrer Wut, als sie einen Haufen zerlumpter Kinder vor sich stehen sah.
Das größte Kind, das durch den Schmutz und die verfilzten Haare schwerlich als Mädchen zu erkennen war, trat vor. Den Arm voller Reisig beugte sie den Kopf und knickste, wenn auch ein wenig unbeholfen. »Wir möchten
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