Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
Dann kann Gott mir gestohlen bleiben.«
Luc schmatzte kurz auf. Ein satter kleiner Mann, der glücklich ist, dachte Catheline. Gut, dass er nicht ahnen kann, welches Erbe er auf seine Schultern geladen bekommen hat.
In den Wäldern von Saint Mourelles
D as Wetter schien es gut mit ihnen zu meinen. Die Sonne stand inzwischen im Zenit, die Vögel sangen erste Frühlingsweisen, und der lauwarme Wind umarmte Mathis während des Ritts.
Der Baron zügelte sein Pferd und gab ein Zeichen, dass er absitzen sollte. Vorsichtig rutschte Mathis aus dem weichen Sattel und betrachtete das Pferd, dessen hoher Widerrist und schlanker Wuchs ihn immer noch beeindruckte. Trotz des Galopps wirkte das Tier nicht ermüdet, ein deutlicher Unterschied zu den Ackergäulen, mit denen die Bauern arbeiteten.
»Hast du im letzten Herbst bemerkt, wie viele Bucheckern es gab?«, fragte der Baron und sah in einen der Bäume hinauf.
Mathis schüttelte den Kopf, verwundert über die Frage.
»Je mehr Eckern die Buchen tragen, desto härter wird der Winter. Und dieser Winter war hart.« Der Baron wies über das Tal. Die Bäume trugen erste Triebe und Knospen, ein grüner Schimmer, der sich einem Tuch gleich über die Landschaft breitete. »Aber der Winter ist überstanden, wir haben es geschafft. Und ist der Frühling in diesem Jahr nicht eine wahre Pracht? Schöner als hier ist es im Frühling nur am Meer.«
»Ich war noch nie am Meer.«
»Warst du schon einmal auf Pilgerreise?«
Als der Baron Mathis’ Kopfschütteln bemerkte, runzelte er die Stirn. »Dann verbinde es miteinander. Reise irgendwann nach Saint Malo. Vor Hunderten von Jahren erschien der Erzengel Michael Bischof Aubert im Traum und befahl ihm, eine Kirche ins Meer zu bauen. Und das hat er getan. Heute thront auf den Granitfelsen eine der größten Abteien Frankreichs, umtost vom Meer. Es ist ein unvergesslicher Anblick: die Kirche und das Meer, das so weit reicht, wie das Auge blickenkann, so weit, dass es den Himmel berührt. Und die Luft, sie riecht anders am Meer, auch das solltest du einmal erlebt haben.«
Mathis schluckte. Amédé de Troyenne nimmt sich Zeit für einen Bauern, setzt sich über jeden Standesdünkel hinweg, und dennoch ist mir all dies fast unangenehm, dachte er. Ist es nicht falsch, hier zu sein und mich aus all dem, was uns im Dorf belastet, herausgelöst zu haben, in der Hoffnung, für einen Nachmittag an anderes denken zu dürfen?
»Den Weg nach Saint Malo, den könntest du schaffen, denn du reitest gut, trotz deines Beins«, sagte der Baron in das Schweigen hinein. »Es tut mir leid, dass du diese Verletzung davongetragen hast. Kannst du deiner Arbeit noch nachgehen?«
»Natürlich«, log Mathis, ohne nachzudenken.
»Solltest du Schwierigkeiten haben, lass es mich wissen, dann zahlst du weniger Zins.«
»Ihr seid ohnehin schon mehr als großzügig, was die Abgaben …«
Der Baron winkte ab und fiel ihm ins Wort: »Was nützt es mir, aus euch das letzte Getreidekörnchen herauszupressen? Seit der Pest, auch wenn seit der letzten großen Welle schon bald ein halbes Leben vergangen ist, liegen so viele Ländereien brach. Sie werden wüst und verkommen. Da bin ich dankbar, dass ihr weitermacht und nicht wie viele andere Bauern sang- und klanglos verschwindet, um in der Stadt euer Glück zu suchen.« Er wiegte den Kopf. »Die Zinseinnahmen sind ohnehin stark zurückgegangen, auch durch die schlechten Ernten der letzten Jahre. Glaube mir, da fällt es auch nicht mehr auf, wenn am Sankt Walpurgistag beim Lämmerzehnt ein Viech weniger dabei ist oder am Sankt Margaretentag beim Kornzehnt ein Sack fehlt.«
»Danke! Vielen Dank!«, sagte Mathis und wagte es nicht, den Blick vom Tal zu lösen.
»Ich weiß, dass du damals, am Tag des Überfalls, wildern warst. Meine Männer haben später Kleintierfallen in der Nähe entdeckt. Das waren doch deine, oder?«
Mathis spürte, dass er erbleichte, doch bevor er eine Antwort geben konnte, sprach der Baron weiter.
»Glaube mir, das ist mir gleichgültig. In diesen Wäldern gibt es genug Getier, in den Bächen so viele Fische. Warum sollst du dir nicht das eine oder andere Vieh fangen? Vor allem jetzt«, er zeigte auf Mathis’ Bein, »da hast du es schwer genug.«
»Ihr seid ein rechtschaffener Mann …«
Der Baron lachte auf. »Nun schaue mich nicht so ergriffen an. Du hast dich damals in den Kampf gestürzt, um mein Leben zu verteidigen. Da ist es doch nur redlich, dass ich mich darum bemühe, dir deines nun
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