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Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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erkundigte.« Die dunklen Augen des Mädchens leuchteten auf. »Sie war sehr nett. Sie erzählte von einer neuen Magd namens Émelie, aber von meiner Schwester hat sie nichts gehört. Oder sie gesehen. Es ist einfach, nach meiner Schwester zu suchen, denn sie sieht aus wie ich.«
    Die wunderschöne Magd. Mathis sah sie vor sich. Den Besen in der Hand, ihren fordernden Blick. Er schob die Erinnerung beiseite. Erwartungsvoll blickte das Mädchen ihn an. Was sollte er ihr sagen? Dass ihr und den Kindern Gefahr drohte? Noch mehr Gefahr, als ihnen ohnehin schon drohte, wenn sie ohne feste Bleibe in der Welt umherstreiften? Dass sie lieber das Weite suchen sollten? Er ahnte, dass sie das nicht machen würden vor der Rückkehr der Schwester. »Wenn wir es gemeinsam fertigbringen, die beiden Ochsen und den Pflug in meinen Stall zu schaffen, könnt ihr dort euer Lager aufschlagen, bis ihr …«
    Das Mädchen wich zurück wie ein zu oft getretener Hund. »Wir helfen dir gern«, sagte sie. »Aber wir bleiben lieber in unserem Lager. Das kennt keiner, und das ist besser so.«
    Mathis seufzte. Das hatte er befürchtet. »Komm in ein paar Tagen noch einmal vorbei, vielleicht habe ich dann eine Antwort, wo deine Schwester sich aufhält.«
    Sie nickte, ging vor zu den Ochsen und winkte die Kinder heran.

    Catheline klopfte leise an die Tür, bevor sie sich in die Hütte schob. Es brauchte einen Augenblick, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Die Fensterläden waren noch geschlossen, die Feuerstelle war erkaltet, und die Asche musste herausgenommen werden, bevor erneut angefeuert werden konnte. Auf der Bettstatt hockte Ysa, die den kleinen Luc stillte. Eingehüllt in ein gewaschenes und weich gekämmtes Schaffell. Ein Bild der Ruhe, der Eintracht.
    Ysa bedeutete Catheline, dass sie sich zu ihr setzen sollte.
    »Ist es dir recht, wenn ich zuvor anfeuere?«, flüsterte Catheline.
    Ein Lächeln glitt über Ysas Gesicht. »Du brauchst nicht zu flüstern, der Kleine hat so viel Hunger, dass ihn, wenn er einmal angelegt ist, nichts vom Trinken abbringt.«
    Catheline griff sich den Ascheeimer, Schippe und Feger. Säuberte die Feuerstelle, schichtete Holz und spürte dabei Ysas Blick auf sich.
    »Bist du gekommen, um nachzuschauen, ob es Luc gut geht?«, fragte sie, als sie den Jungen an der anderen Brust anlegte.
    »Ja, das auch. Aber in erster Linie bin ich gekommen, um zu schauen, ob es dir ein wenig besser geht. Denn wenn ich weiß, wie es dir geht, weiß ich auch, wie es um Luc steht«, antwortete Catheline und deckte den Ascheeimer zu.
    »Du musst keine Angst um uns haben«, erwiderte Ysa, und ihre Stimme klang belegt. »Ich war so außer mir. Natürlich liebe ich meinen Sohn so wie alle meine anderen Kinder zuvor auch. Aber …«, sie runzelte die Stirn, »weißt du, woran ich gemerkt habe, dass Rachel nicht mehr unter uns weilt?«
    Catheline setzte sich auf die Schlafstätte und schüttelte den Kopf.
    »Kennst du das Gefühl, dass die Welt ihre Farben verlorenhat?«, fuhr Ysa mit gesenkter Stimme fort. »Dass alles Grau in Grau ist? Kein Rot, kein Gelb, nicht einmal das Blau am Himmel. Jeden Morgen, bevor ich die Augen öffne, bete ich kurz zu Gott, er möge mir die Farben wiedergeben. Aber Rachel hat sie mit sich genommen.« Ysa schob das Fell beiseite und legte Luc neben sich, der beim Trinken eingeschlafen war. Gedankenverloren schob sie den Kittel wieder über ihre ausladende Brust, aus der noch Milch tropfte. Dann setzte sie sich aufrecht hin, legte die Hände in den Schoß und forderte Cathelines Blick ein. »Als du mit dem Kleinen aus der Kirche kamst, hast du etwas getan, das mir die Augen geöffnet hat. Du hast Luc an dich gedrückt, hast an ihm geschnuppert. Diese Mischung aus aufgestoßener Milch und zarter Haut eingeatmet. Da habe ich begriffen, dass Rachel die Farben mit sich genommen hat, mir die Gerüche aber geblieben sind. Und ich hatte noch nie ein Kind, das so gut gerochen hat wie Luc. Ich glaube, das hat sie gewusst.«
    Catheline schluckte und begann, an ihrer Lippe herumzuzupfen, unfähig, Ysa zu unterbrechen oder auch nur ein passendes, gar tröstendes Wort zu finden. Gegen eine Welt ohne Farben konnte sie nicht anreden.
    »Also, wenn du wissen willst, wie es mir geht: Es geht mir nicht gut, aber ein wenig besser. Dafür danke ich dir. Nur wenn mir Luc noch von Gott genommen wird, dann weiß ich nicht, was ich tun werde, auch auf die Gefahr hin, dass ich mit der Hölle vorliebnehmen muss.

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