Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
waren mit Wachs bestrichen. »Was fehlt uns noch?«, fragte er.
»Mehl«, sagte Ania.
»Salz«, ergänzte Émelie leise.
Der Küchenmeister nahm den Griffel und kratzte im Wachs herum. »Ich fahre morgen nach Nantes. Falls noch etwas fehlt, sagt mir Bescheid«, wies er die Mägde an. »Émelie, spüle noch die Pfannen. Jola, mach, dass du rauskommst, die Ziegen zu füttern. Und sieh nach, ob noch Eier da sind, ich will mir ein Rührei machen«, fuhr er fort.
Dankbar ergriff Jola den Korb und verließ die Küche.
Die kühle Luft des frühen Abends war eine Wohltat. Gründlicher als nötig ging Jola den Hühnerverschlag ab und entdecktein den Nestern noch drei Eier. Sie füllte den Korb mit Stroh, bettete die Eier hinein. Dann schloss sie das Gatter und machte sich auf den Weg zu den Ziegen.
Das Erste, was sie an ihm bemerkte, war sein schwankender Gang. Es war nicht zu übersehen, dass Mathis zu viel getrunken hatte. Immer wieder blieb er stehen, und selbst dann bewegte sich sein Oberkörper sacht wie eine Tanne im Abendwind. Bevor Jola einen Entschluss fassen konnte, was mit dem Betrunkenen zu tun sei, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass der Küchenmeister ihre Rückkehr erwartete, entdeckte sie Ania. Sie eilte auf Mathis zu und hakte sich bei ihm unter.
Sie kennen sich. Woher kennen sich die beiden? Und was macht Ania hier? Wie ist sie dem Küchenmeister entkommen? Jola huschte hinter einen Wandvorsprung und sog die Luft ein. Dann schob sie den Kopf vor und lugte um die Ecke.
Ania führte Mathis in Richtung der Stallungen, mehrfach schaute sie sich dabei um. Mathis’ Gang wirkte mit einem Mal geradliniger, und Jola konnte es nicht leugnen: Die beiden sahen gut aus zusammen. Erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund. Was waren das für Gedanken? Ihr Herz schlug unruhig, als hätte es seinen Rhythmus verloren. War Mathis von Sinnen? War Ania der Grund, dass er Catheline nicht mehr heiraten wollte? Was sollte sie jetzt machen? Ehe Jola sich besann, folgte sie den beiden, die just hinter den Pferdestallungen verschwanden.
Dort war nur noch die Kammer, in der die Wolle der Schafschur lagerte, bis sie entfilzt, gewaschen und ein Teil davon im Zwiebelsud gelb gefärbt wurde. Arbeiten, die vor dem Verkauf der Wolle noch erledigt werden mussten. Tatsächlich öffnete Ania die Tür, blickte sich erneut um und wies mit der Hand in die Kammer. Mathis musste sich ducken, um unter dem niedrigen Sturz hindurchzutreten. Dann fiel die Tür zu.
Jola raffte die Schürze über ihre Knie und rannte los, wobei eines der Eier aus dem Korb fiel und auf ihrer Schürze zerschlug. Abrupt blieb sie stehen, fluchte, wischte Dotter und Eiklar vom Stoff, zupfte verklebte Schalenreste von ihren Fingern und warf sie auf den Boden. Trat sie klein und schob Sand darüber, damit niemand bemerkte, dass ihr ein Ei zerbrochen war.
Leise schlich sie zur Wollkammer weiter und blieb vor dem Fensterladen stehen. Mit zwei Fingern packte sie das Holz und schob ihn einen Spalt auf.
Fast hätte sie aufgeschrien. Hier wurde keine Zeit verloren. Ania stand mit freiem Oberkörper vor Mathis, der soeben ihre weißen Brüste berührte. Er beugte sich vor, und Ania legte den Kopf zurück. Noch nie hatte ihr Haar so schön ausgesehen, in Wellen fiel es ihr goldgelb den Rücken herab. Die Lippen leicht geöffnet, strich sie über Mathis’ Hände, schob sie auf ihre Hüfte, half ihm, ihren Kittel abzustreifen.
Unfähig, sich zu rühren, vermochte Jola weder die Augen abzuwenden noch die Ohren zu verschließen. Zu Stein geworden, beobachtete sie, wie Ania sich umdrehte und Mathis noch im Stehen in sie eindrang. Sah den Gleichklang der Leiber, der immer wilder und enthemmter wurde, mit gierigem Keuchen einherging, bis Mathis sich aufbäumte und den Kopf auf Anias rechte Schulter fallen ließ. Sie lachte und strich ihm über das Gesicht.
Erst jetzt löste sich Jolas Starre. Langsam trat sie zurück, sah nach rechts, sah nach links. So ein großes Schloss, so viele Menschen auf beengtem Raum, und trotzdem war just in diesem Augenblick niemand bei den Stallungen, niemand, dem sie zurufen, dem sie sich zuwenden konnte, der sie ablenken würde.
Sie schrak auf, als die Tür aufgeschoben wurde.
Mathis stand, den Kopf noch eingezogen, zwei Schritte vonihr entfernt. Sah sie. Blieb stehen, öffnete den Mund und sagte nichts.
Jola duckte sich, umfasste den Korb fester und hetzte los.
Weg.
Weg von Mathis. Von Ania. Vom Ort der Sünde.
Ist das Bett
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