Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
zusammengearbeitet, und die Spieße für das Fest waren von ihm geordert worden. Vielleicht hatte er Kräuter bei Grete bestellt … Blitzschnell fügte sich das Bild zusammen. Auch wenn sich noch nicht jedes Teil zum anderen fügte – Rachels Verschwinden und Gabins Tod wollten bisher nicht hinpassen –, stieg eine Vorahnung in Mathis auf. Diffus rollte sie aus den Tiefen seines Bauches empor, richtete sich auf und verdichtete sich zu der Gewissheit, dass es nur so und nicht anders gewesen sein konnte. Sein Verdacht, dass der Hauptmann mit alledem in Zusammenhang stünde, geriet mit einem Streich ins Wanken.
Der Baron bemerkte sein Zögern. »Was ist los, du bist ganz bleich geworden.«
»Ich bin sicher, dass derjenige, der Euch diese Auskunft gab, mit den Taten im Zusammenhang steht. Aber die Zahl derer, die in Frage kommen, ist groß«, antwortete Mathis ausweichend.
»An wen denkst du?«
Mathis schüttelte den Kopf und schämte sich seines Verdachts, der lediglich auf einer Annahme beruhte. Einer unausgegorenen Annahme, die ihm Catheline unentwegt einflüsterte und die den Blick darauf verstellte, dass auch noch andere Männer als Täter infrage kamen.
»Aber ich habe dich richtig verstanden: Du gehst davon aus, dass der Täter auf dem Schloss zu suchen ist? In meiner unmittelbaren Umgebung?«
Mathis nickte und spürte, dass seine Hände feucht wurden. »Meinst du, dass ich in Gefahr bin?«, flüsterte der Baron und trat näher.
»Ich weiß es nicht genau, ich befürchte aber schon …«
Ein Schrei des Knappen unterbrach das Gespräch. Das Pferd des Jungen bäumte sich auf, sodass dieser in hohem Bogen auf die Wiese stürzte. Mehrere Männer eilten ihm zu Hilfe, während das Pferd das Weite suchte. Kaum hatte der Pater den Jungen erreicht, erhob sich dieser und klopfte mehrere Grasbüschel von seinem Kettenhemd.
»Er hat einen Schutzengel an seiner Seite«, sagte Mathis und atmete tief durch. Erleichtert sah er zum Baron hinüber und schrak zusammen.
Zitternd stand er da und konnte den Blick nicht von dem Jungen lösen, der inzwischen versuchte, sein Pferd einzufangen.
»Herr Baron?« Mathis packte den Arm des Barons und erschrak zugleich über seine eigene Dreistigkeit. Doch er spürte, dass da etwas war, das er unterbrechen musste. Dass er dem Mann neben sich die Hand reichen musste, um ihn aus seinem Schrecken herauszuholen.
Der Baron blinzelte und schüttelte sacht den Kopf, als würde er aus einem Tagtraum erwachen. Das Zittern verebbte.
»Mathis! Ja, wo waren wir stehengeblieben?« Sein Gesichtlegte sich in Falten, als er sich daran zu erinnern schien, dass er selbst vielleicht in Gefahr schwebte. Er seufzte, legte den Kopf in den Nacken und reckte die Schultern. »Ich bin so müde seit dem …« Noch einmal sah er zu Brunos Sohn, der inzwischen wieder im Sattel saß. »Wie soll ich das Gute vom Bösen unterscheiden? Wie soll ich wissen, wem ich vertrauen kann?«
Da er nichts darauf erwidern konnte, schwieg Mathis.
»Komm heute zum Essen.«
Ohne nachzudenken, hob Mathis abwehrend die Hand. Das konnte er nicht, sich an die Tafel des Barons setzen. Er, ein Bauer, der beim Essen schmatzte und dessen Umhang nach Schafen und Schweiß roch.
Bevor er auch nur ein Wort erwidern konnte, lachte der Baron auf. »Nun schau nicht so drein. Es ist meine Entscheidung, wer mit mir speist, und soll es mal jemand wagen, etwas dagegen zu sagen. Sieh dir alle aus der Nähe an, jeden Einzelnen, und sage mir, was du denkst. Amicus certus in re incerta cernitur. Ich bin dazu nicht mehr in der Lage.«
Der Baron bemerkte Mathis’ Zögern und grinste. »Du hast recht, immer dieses lateinische Gewäsch. Hilf mir, zu erkennen, wer mein Freund in dieser Not ist, meinte ich.«
Mathis’ Magen rumorte. Abyssus abyssum invocat, durchfuhr es ihn. Er konnte nur zwei oder drei Phrasen Latein, die ihm der Pfarrer vor langer Zeit an einem Winterabend beigebracht hatte. Ein Fehler zieht den nächsten nach sich, war der erste Satz, den Mathis sich hatte merken können. Wie seltsam passend er ihm nun erschien.
»Es war der 17. Juli 1429, und Reims war aufs Herrlichste herausgeputzt. Die Hauptstraße war frisch gepflastert, und nirgends war auch nur ein Krümel Unrat zu entdecken. Die Häuser waren frisch bemalt und geschmückt, mit Triumphbögenoder Blumengirlanden. Ein Fahnenmeer begrüßte uns. Wer keine Fahnen sein Eigen nennen konnte, hängte Tücher aus dem Fenster, die sich im Wind bauschten. Jeder, vom Greis bis zum
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