Sehnsucht
besprechen mussten, aber nicht jetzt. Sie brauchten alle eine Pause, eine Chance, die letzten Bruchstücke des Rätsels zu verarbeiten. Jeder hoffte, dass vielleicht alles mit ein bisschen Abstand klarer werden würde.
Sam streifte seine Schuhe ab und legte seine Beine aufs Geländer. Entspannt und zufrieden beobachtete er den Sonnenuntergang durch halb geschlossene Lider. In diesem einen Moment fühlte er sich stark genug, jeder Bedrohung zu trotzen.
Als der dunkelblaue Geländewagen mit ihrem Firmenlogo auf den Türen in die Auffahrt einbog, ging die Sonne gerade hinter den Kiefern unter. Bo sprang heraus und stürmte wortlos ins Haus. Er schlug die Tür so hart hinter sich zu, dass der Türrahmen klapperte. Amy folgte ihm langsamer und knabberte dabei auf ihrem Daumennagel herum. Sie sah extrem frustriert aus.
David starrte geschockt auf die immer noch zitternde Tür. Er drehte sich mit einem überraschten Gesichtsausdruck zu Amy um.
»Was zur Hölle war das denn?«
Amy seufzte und schüttelte den Kopf. »Das willst du nicht wissen.« Sie warf Sam einen Blick aus den Augenwinkeln zu, der Bände sprach. Ein nagendes Pochen breitete sich hinter seinen Schläfen aus. Sam massierte sie vorsichtig mit den Fingerspitzen und verwünschte die aufkommenden Kopfschmerzen. Er wusste, dass der Auslöser für Bos miese Laune mit ihm zu tun hatte.
Bo hatte ihm seine Antwort gegeben.
Sam versuchte sein Bestes, sie zu akzeptieren und die Abweisung nicht mit seiner Arbeit in Konflikt kommen zu lassen. Von sich aus hätte Bo das Thema nie angesprochen, also musste es Amy gewesen sein.
Verdammt noch mal, wieso kannst du die Sache nicht auf sich beruhen lassen? , dachte er wütend und warf Amy einen finsteren Blick zu.
Sie schien es nicht zu bemerken.
»Ich geh rein. Duschen«, sagte sie.
»Kocht Bo?«, fragte Cecile. »Ich könnte ihm helfen.«
Amy lächelte sie an. »Wird er sicher. Aber glaub mir, du willst ihm gerade nicht helfen.«
»Stimmt«, pflichtete David bei, als Amy die Tür öffnete und ins Haus ging. »Wenn Bo wütend ist, macht man am besten einen großen Bogen um ihn und wartet, bis er sich abreagiert hat.«
Cecile lächelte, nahm Davids Hand und drückte einen Kuss darauf. »Okay. Dann verschiebe ich das aufgrund deiner verlässlichen Erfahrungswerte von Bos Gewohnheiten.«
»Das liebe ich so an dieser Frau«, verkündete David laut und grinste. »Sie drückt sich so unglaublich präzise und gewählt aus.«
Cecile rollte mit den Augen und gab ihm einen Klaps auf den Arm.
Als David sie am Handgelenk packte und zu einem Kuss zu sich heranzog, wandte Sam sich ab. Es wirkte süß und verliebt und ließ ihn sich nach so einem spielerisch leichten Geplänkel sehnen. Er ignorierte bewusst die kleine Stimme in seinem Hinterkopf, die ihn an das Objekt seiner Begierde erinnerte.
Die Dämmerung kroch wie Nebel durch die großen Kiefern, zusammen mir einer schleichenden Stille. Keine Grillen zirpten mehr, keine Ochsenfrösche oder Vögel waren mehr zu hören. Andre lachte. Ohne die natürlichen Hintergrundgeräusche eines Sommerabends klang es überlaut.
Sam sank in seinem Stuhl zusammen und sah sich verstohlen auf der Terrasse um. Dunkelheit wirbelte wie ein lebendiges Wesen in den Ecken. Er erwartete fast, dass einer der Schrecken seiner Alpträume aus Kindertagen vor seinen Augen erschien. Die Angst davor prickelte zwischen seinen Schulterblättern.
»Es ist so still«, murmelte Cecile, während sie mit großen Augen auf den Hof hinausblickte. »Lasst uns reingehen.«
»Okay.« David stand auf und zog Cecile auf die Füße. »Das Abendessen ist wahrscheinlich sowieso schon fertig.«
Andre lachte leise, als sie nacheinander die Terrasse verließen. »David merkt immer, wann es etwas zu essen gibt.«
»Ich würde ja gerne wiedersprechen, aber…« David wurde ernst und blickte zu Andre. »Ich frag mich, ob man's schon wagen kann, mit Bo zu reden?«
Andre zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Er sah ziemlich angepisst aus.«
In dem Moment kam Bo um die Ecke. »Essen ist fertig.«
Ohne eine Reaktion abzuwarten, drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand wieder. Die Gruppe folgte ihm schweigend und Sam ließ sich hinter ihnen zurückfallen. Die Anspannung in ihm wuchs mit jedem Schritt. Bo kam gerade von der anderen Seite ins Esszimmer, als sie es betraten. Er trug eine Platte mit einem verkohlten Huhn in einer und eine große Schüssel Kartoffelbrei in der anderen Hand. Sein Blick blieb einen Moment
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