Sehnsucht der Unschuldigen
wilden Blick wie ein Wiesel, wenn es ein Huhn riecht. Danach habe ich mich immer gefragt, warum Gott sich Verrückte ausgesucht hat, um durch sie zu sprechen.
Als Kind dachte ich mir, daß es an der Hitze in der Wüste gelegen haben mußte, die ihnen nicht gut bekommen ist. Heute sage ich mir, daß noch was ganz anderes in ihrem Kopf umging, und daß das nichts mit Erleuchtung oder Nächstenliebe zu tun hatte.«
Schweigend schenkte Burke sich noch eine Tasse Kaffee ein.
Burns hatte ihm gegenüber ja auch etwas von inneren Stimmen erwähnt, die bestimmten Serienmördern angeblich zugeflüstert hatten, sie sollten an diesen oder jenen Ort gehen und die Tat verüben. Was ihn selbst betraf, so hatte Burke keinerlei Hang zum Mystischen. Seiner Meinung nach versuchten die meisten Angeklagten durch solche Behauptungen lediglich, wegen Unzurechnungsfähigkeit eine weniger drastische Strafe herauszuschinden. Andererseits konnte er Tuckers Theorie nicht so ohne weiteres beiseitewischen.
»Soll das heißen, daß Vernon Stimmen gehört hat?«
»Ich weiß nicht, was in seinem Kopf vorgeht, aber seinen Augenausdruck gestern werde ich nie vergessen. Es war genau derselbe wie bei Austin, als er sich auf mich gestürzt und den Namen meines Vaters geschrien hat. Und genauso hat dieser Prophet da dreingeschaut. Wenn Vernon Cy hätte erschlagen können, hätte er es garantiert auch getan. Und ich würde auf der Stelle Sweetwater hergeben, wenn er es nicht für einen göttlichen Auftrag gehalten hätte.«
»Mir ist aber nichts von einer wie auch immer gearteten Beziehung mit den Opfern bekannt. Außer der zu seiner Schwester natürlich.«
»Wir leben doch in Innocence. Da läuft man sich ja tagtäglich über den Weg. Kennst du nicht auch den Spruch vom Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt? Wenn Austin zum Mord fähig war, müssen wir Vernon ganz bestimmt dasselbe zutrauen.«
»Ich werde mich mal mit ihm unterhalten.«
Tucker lehnte sich zufrieden zurück. Das Telefon schrillte, doch Burke ging nicht hin. Oben war auch noch ein Anschluß, und Susie nahm nach dem dritten Klingeln den Hörer ab.
»Kommst du heute nacht zu uns? Wir veranstalten ein Feuerwerk in Sweetwater.«
»Wenn meine Frau und Kinder nichts dagegen haben.«
»Und Carl auch?«
»Wozu sollte er in der Stadt bleiben, wenn alles zu euch rausfährt? Warum fragst du?«
Tucker rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. »Na ja, es wird ziemlich heiß hergehen. Jemand könnte das ausnutzen.
Ich mache mir schreckliche Sorgen, vor allem um Josie und Caroline. Darum möchte ich euch unbedingt in der Nähe wissen.«
»Burke.« Susie kam im Morgenrock in die Küche.
»Ein Anruf aus dem Büro?« wollte Burke wissen.
»Nein, von Delia. Matthew Burns hat Dwayne zum Verhör abführen lassen.«
Wenn er nicht so aufgebracht gewesen wäre, die Vorstellung wäre zum Lachen gewesen. Einfach absurd, daß sein Bruder Dwayne mit dem weichen Herz und den sanften Augen einen Mord begangen haben sollte! Aber daß dieser Lackaffe von FBI-Agent sich erdreistete, seinen Bruder aus dem Bett zu zerren und zum Verhör ins Sheriffsbüro zu verfrachten, war eine bodenlose Unverschämtheit.
Mühsam um Selbstbeherrschung ringend, stürmte Tucker zusammen mit Burke aus dem Haus. Er nahm sich fest vor, diesmal ganz ruhig zu bleiben. Burns wartete ja nur auf einen Anlaß, ihn hinauszuwerfen, aber den Gefallen wollte er ihm nicht tun.
Beim Betreten des Sheriffsbüros warf Tucker Dwayne eine Zigarette zu und zündete sich selbst auch gleich eine an – eine ganze. »Sie stehen ja früh auf, Burns«, grüßte er den Beamten.
»Dabei ist heute doch ein Feiertag.«
»Dessen bin ich mir sehr wohl bewußt.« Burns lehnte sich auf Burkes Stuhl zurück. »Mir ist aber auch bekannt, daß für zwölf Uhr ein Umzug geplant ist. Mir liegt es fern, die örtlichen Feierlichkeiten zu stören. Sheriff, mir wurde gesagt, Sie wollen die Innenstadt ab zehn Uhr sperren?«
»Richtig.«
»Mein Wagen steht im Zentrum. Jemand muß ihn für mich zu einer jederzeit erreichbaren Stelle fahren.« Burns legte die Autoschlüssel auf den Tisch.
Carl bemerkte das zornige Funkeln in Burkes Augen und nahm die Schlüssel an sich. »Ich fahre Ihren Wagen in die Magnolia Street.« Auf dem Weg zur Tür wandte er sich noch einmal zu Tucker um. »Tut mir leid, Tuck. Wenn’s nach mir gegangen wäre, hätte ich deinen Bruder nicht abgeholt, aber ich hatte einen Befehl.«
»Ist schon gut, Carl. Lange kann er ihn sowieso
Weitere Kostenlose Bücher