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Sehnsucht der Unschuldigen

Sehnsucht der Unschuldigen

Titel: Sehnsucht der Unschuldigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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durchschnitt Edda Lou die Kehle.
    Caroline setzte sich abrupt in ihrem Bett auf. Ihr Herz pochte zum Zerspringen. Sie schlug die Hände vor die Brust. In ihrer Panik hätte sie fast das Nachthemd zerfetzt.
    Da schreit jemand, dachte sie, und ihr Keuchen hallte im Zimmer wider. War da etwa ein Unglück geschehen?
    Mit einem Satz war sie aus dem Bett und tastete nach dem Lichtschalter. Erst jetzt begriff sie, wo sie war und ließ sich zurück aufs Kissen plumpsen. Das hier war eben nicht Philadelphia. Nicht Baltimore. Nicht New York. Nicht Paris. Sie war im tiefsten Mississippi und schlief im Bett ihrer verstorbenen Großeltern.
    Die Geräusche der Nacht drangen ins Zimmer. Frösche, Grillen, Zikaden. Und Eulen. Und noch einmal durchbrach ein gellender Schrei die Nacht. Unheimlich. Das klang wie die Stimme einer Frau. Jetzt fiel es ihr wieder ein. Schreiende Eulen wurden sie hier genannt. Ihre Großmutter hatte sie einmal vor vielen Jahren beruhigen müssen, weil dasselbe Kreischen sie aus dem Schlaf gerissen hatte.
    Das war doch nur eine Schreiende Eule, mein Goldschatz. Dir kann gar nichts geschehen. Bei uns bist du so sicher wie ein Bär in seiner Höhle.
    Caroline schloß die Augen und lauschte dem gedehnten Buuuuhuuu einer anderen Eule mit ungleich besseren Manieren.
    So geht es eben zu auf dem Land, hielt sie sich vor und versuchte, nicht mehr auf das Ächzen und Knarzen überall in diesem alten Haus zu achten. Bald würden diese Geräusche ihr genauso vertraut sein wie die vorbeifahrenden Autos auf den Straßen und das Heulen einer Sirene in der Ferne.
    Ihre Großmutter hatte bestimmt recht gehabt: Sie war hier so sicher wie ein Bär in seiner Höhle.

3
    Tucker saß auf der Terrasse. In seinem Rücken rankten sich violette Klematis an der weißen Pergola empor. Der Duft lockte einen Kolibri an. Mit in allen Farben leuchtenden, schwirrenden Flügeln schwebte er über dem Kelch einer der zarten Blüten und saugte den süßen Nektar. Aus dem Haus kam das geschäftige Summen von Delias Staubsauger und mischte sich mit dem der Bienen draußen.
    Unter dem Glastisch hatte sich Buster, der hochbetagte Wachhund, ein behagliches Plätzchen eingerichtet. Hin und wieder hob er unter Aufbietung sämtlicher Energien schwanzwedelnd den Kopf und blickte voller Hoffnung auf Tuckers Frühstück.
    Tucker schenkte all den Lauten und Gerüchen des Morgens kaum Aufmerksamkeit. Er registrierte sie mit derselben Zerstreutheit, mit der er seinen eisgekühlten Fruchtsaft, den schwarzen Kaffee und Toast zu sich nahm.
    Er widmete sich seinem morgendlichen Lieblingsritual, der Lektüre der Post. Wie immer war ein Stapel von Modezeitschriften für Josie dabei. Sobald er eine zwischen die Finger bekam, warf er sie auf den gepolsterten Stuhl neben ihm.
    Bei jedem Aufprall verdrehte Buster die Augen freudig nach oben, um sogleich ein enttäuschtes Grunzen von sich zu geben.
    Auch ein Brief für Dwayne aus Nashville war diesmal dabei.
    Tucker erkannte Sissys überkorrekte, kindliche Handschrift.
    Stirnrunzelnd hielt er den Umschlag gegen die Sonne, dann legte er ihn beiseite. Um eine Mahnung wegen ausgebliebener Unterhaltszahlungen für die Kinder konnte es sich nicht handeln. Als Buchhalter der Familie hatte er erst vor zwei Wochen den monatlichen Scheck ausgefüllt und abgeschickt.
    Sein Ablagesystem sah so aus: Rechnungen landeten auf wieder einem anderen Stuhl, persönliche Post wurde auf den Tisch hinter die Kaffeekanne gelegt, und Bettelbriefe von allen möglichen gemeinnützigen Organisationen steckte er in eine Papiertüte.
    Für ihre Erledigung hatte sich Tucker ein eigenes Verfahren ausgedacht. Einmal jeden Monat griff er blind in die Tüte und zog willkürlich zwei Umschläge heraus. Das waren dann die Adressen, an die die nächste großzügige Spende ging, egal ob es sich um das Rote Kreuz, den World Wildlife Fond oder irgendeine Gesellschaft für die Erhaltung von Wandhaken ging.
    Damit, so sagte sich Tucker, genügten die Longstreets ihren Wohltätigkeitsverpflichtungen. Und wenn die Organisationen sich wundern sollten, daß sie einen Monat einen Scheck über mehrere tausend Dollar erhielten und dann jahrelang gar nichts mehr, dann war das in Tuckers Augen allein ihr Problem.
    Das mechanische Aussortieren der Post half ihm, dringendere Sorgen zumindest einstweilig zu verdrängen. Im Grunde wußte er nicht, wie er sich Edda Lou gegenüber verhalten sollte. Sie redete ja nicht einmal mehr mit ihm. In den zwei Tagen seit der

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