SehnSucht - Erotischer Roman: Erotischer Roman (German Edition)
irgendwie immer noch.«
»Also passt er schon sehr lange auf sie auf?«, hob Muriel vorsichtig an und schüttelte sich etwas unter dem leisen Schauder, der über ihre Haut kroch. Sie war dankbar, die Stola zu haben, faltete sie auf und legte sie um ihre Schultern.
»Seit sechs Jahren.«
Sollte die daraus entstehende Frage nun gestellt oder vermieden werden? Weder wollte sie neugierig noch ignorant wirken.
»Und ihre Mutter ist ...« Sie brachte den Satz nicht zu Ende, da ihr Leander ins Wort fiel.
»Ihre Mutter hat beschlossen, ohne uns weiterzumachen. Meiner letzten Kenntnis zufolge lebt sie inzwischen in Rom«, erklärte er im Plauderton und ohne jede Bitterkeit. »Damals habe ich Tom eingestellt, weil er schon zuvor für Lina dagewesen ist. Ich hatte KINGz und keine Zeit nach einer vielleicht weiblichen Babysitterin zu suchen, der ich vertrauen würde. Zudem wusste ich, dass Tom Lina gern hat und sie ihn, und ich mochte den Gedanken nicht, sie in einer ohnehin schwierigen Situation mit einer neuen Vertrauensperson zu konfrontieren.« Er hob die Schultern und ließ sie wieder sinken, dies keineswegs resigniert, sondern vielmehr gelassen. »Wir kommen gut klar, auch wenn Außenstehende es vielleicht ungewöhnlich finden, wie wir leben. Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass es immer schön und sorglos ist. Insbesondere ist es das nicht, wenn ich für mehrere Tage unterwegs bin, aber die meiste Zeit über funktioniert es.«
Muriels unangenehme Schauder verschwanden. Was sie stattdessen verspürte, war Wärme, die sich um ihr Herz legte, und der Wunsch, Leander etwas zu sagen, von dem sie glaubte, dass er es gern hörte.
»Ein Kind ganz allein aufzuziehen, egal ob als Vater oder Mutter, verdient echt viel Respekt.« Sie schmunzelte. »Es ist bestimmt nicht einfach. Eine Phase greift in die nächste über, doch jede geht vorüber. Momentan ist deine Tochter noch zu klein, um schätzen zu können, was du für sie tust, aber dennoch dankt sie es dir auf die eine oder andere Weise. Wahrscheinlich bist du ihr ein und alles und sie vergöttert dich.«
Muriel dachte daran, wie es früher zwischen ihr und ihrem Vater gewesen war, wie sehr sie ihn vergöttert hatte. Aber manches Mal hatte sie ihn auch verflucht.
»Selbst wenn sie dich irgendwann zur Verzweiflung treibt, dich einen engstirnigen Ochsen schimpft, wird sie dich lieben und irgendwann wird sie erkennen, was es bedeutet hat, sie groß zu kriegen und zu dem tollen Menschen zu machen, der sie ist und sein wird.«
Muriel war es, als hallte ihr letzter Satz wie ein Echo durch das neuerliche Schweigen. Dass Leander nichts erwiderte, empfand sie diesmal nicht als negativ, und von dem vollkommen unbekannten Ausdruck in seiner Miene ermutigt, fuhr sie fort: »Mein Vater hat mich allein aufgezogen. Weder weiß ich, wo meine Mutter ist noch was sie tut noch wie sie lebt ... und es interessiert mich auch nicht. Mich interessiert allein mein Vater, der um meinetwillen auf vieles verzichtet und mich zugleich geprägt hat. Er ist der wichtigste und beständigste und mir liebste Mensch in meinem Leben.«
Leander lächelte.
Es war das erste Mal, dass sie ihn so sah und sie mochte es, was sie nicht so recht glauben konnte. Es hätte sie mit Furcht oder zumindest Irritation erfüllen sollen, doch das tat es nicht. Es stellte sie seltsam ruhig.
»Und wie genau hat dich dein Vater geprägt?«, fragte er.
Muriel wich Leanders Blick aus, indem sie sich im Garten umschaute. »Tagtäglich fünf Tage die Woche.«
Er lächelte wieder.
Es beflügelte sie, zu sagen: »Mein Vater ist auch Redakteur, in Minnesota, wo ich eigentlich herkomme. Er arbeitet für die StarTribune. Ich bin praktisch an seinem Schreibtisch groß geworden.«
»Dann ist es wohl an der Zeit, dass ich diesen Mann kontaktiere und ihm für die großartige Redakteurin danke, die du bist.«
Das war das Schönste, was sie seit langer, langer Zeit gehört hatte. Leander war also kein Ungeheuer!
Diese Erkenntnis war so angenehm wie sie unerwartet war. Und schockierend, irgendwie.
***
Auf der Fahrt im Taxi meinte Muriel, das Fahrstuhlsignal zu hören, das allmorgendlich um eine Minute vor neun Uhr ertönte, und die gesamte Redaktion in Alarmbereitschaft versetzte. Was sie sonst verärgert hatte, brachte sie nun dazu, vor sich hin zu grienen.
War er sich bewusst, welche Wirkung er auf seine Angestellten hatte? Reizte er es aus? War es ihm egal? War es ein Schutz?
Die Stirn gegen den Handrücken gelegt,
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