Sehnsucht FC Bayern
Abendspiel war, wo es nach Schlusspfiff mal nicht direkt zurück auf die Autobahn oder in ein Hotelzimmer ging, sondern wir zügig wieder in der eigenen Wohnung waren. So etwas kann man merkwürdig finden. Aber für uns war das völlig neu.
In dieser Phase wurde auf einer außerordentlichen Jahreshauptversammlung des FC Bayern die Ausgliederung der Profis, Frauen, Amateure und der A-/B-Jugend in eine noch zu gründende FC Bayern AG beschlossen. Die Veranstaltung fand an einem Donnerstag statt, und so reiste ich einen Tag früher ins Wochenende. In der Straßenbahn Richtung Flughafen traf ich einige Kollegen. Auf deren Frage: »Wohin?«, antwortete ich wahrheitsgemäß: »Ich fliege zur Jahreshauptversammlung des FC Bayern.« Ab diesem Zeitpunkt hielt man mich endgültig für übergeschnappt. In München angekommen, ging es direkt in die ehrwürdige Olympiahalle, in der die Veranstaltung zu meiner Freude stattfand. Meine erste Jahreshauptversammlung. Und ich war äußerst neugierig, meinen Verein einmal von dieser Warte aus zu erleben.
Die Veranstaltung verlief recht turbulent, und ich war erstaunt, wie von Seiten des Podiums bisweilen unsouverän auf manche besonnen vorgetragenen Wortmeldungen reagiert wurde. Eine neue Erfahrung. Insgesamt aber schien das Vorhaben der Verantwortlichen gut begründet, und auch ich stimmte für die Ausgliederung, die Gründung einer Aktiengesellschaft und die Vergabe von zehn Prozent des Grundkapitals an Adidas zur Finanzierung des neuen Stadions. Ein Schritt, bei dem ich kein gutes Bauchgefühl hatte. Adidas als Teilhaber war mir jedoch nicht unsympathisch. Als jahrzehntelanger Partner und Ausrüster gab es gleich zwei Berührungspunkte mit dem Verein. Und das war allemal besser als ein windiger Milliardär, der aus dem Nichts auftaucht. Dass damit auch die Ausrüster-Frage für die Zukunft fest zementiert wurde, war mir sogar ganz recht. Immerhin bewahrte uns Adidas, im Gegensatz zu so manchen anderen Ausrüstern, vor den gröbsten Geschmacklosigkeiten beim Design der immer häufiger wechselnden Trikots. Und Kontinuität hat den FC Bayern ja schon immer ausgezeichnet.
Im Februar 2002 entspannte sich meine persönliche Situation. Nach einigen Bewerbungsgesprächen bei fremden Unternehmen ergab sich unverhofft die Möglichkeit, in die Münchner Niederlassung meines bisherigen Arbeitgebers, einer Kölner Versicherung, zu wechseln. Besser konnte es eigentlich nicht laufen.
Der Besuch eines Heimspiels gegen Energie Cottbus im gleichen Monat zeigte die ganze Verschrobenheit, die ich nach inzwischen 304 besuchten Bayern-Spielen mittlerweile pflegte. Das Spiel fand am 23. Februar statt. Das allein war für mich schon bemerkenswert, weil ich an diesem Kalendertag nie zuvor einem Bayern-Spiel beigewohnt hatte. Ich konnte also eine entsprechende Lücke in meinen statistischen Aufzeichnungen aller besuchten Spiele schließen.
Es sollte aber an diesem Nachmittag noch dicker kommen. Bei heftigem Schneegestöber führte Bayern kurz vor Schluss mit 6:0. In der 90. Minute gab der Schiedsrichter Elfmeter für Bayern. Wie von der Südkurve lautstark gefordert, machte sich Oliver Kahn auf, das erste Tor seiner Karriere zu erzielen. Ich wurde nervös. Das wäre es jetzt! Nie zuvor hatte ich ein 7:0 meiner Bayern erlebt, nicht einmal bei Freundschaftsspielen. Das wäre Ergebnispremiere für mich. Und nicht nur das. Mit Oliver Kahn hätte ich einen neuen, sehr seltenen Torschützen in meine Statistik aufnehmen können. Ich wurde noch nervöser. Oliver Kahn schritt zur Tat, lief an – und schoss an den Pfosten. Schlusspfiff. Alles lachte. Nur einer nicht. Ich. Ich war dermaßen sauer ob der vergebenen Möglichkeit, dass ich zornig das Olympiastadion verließ. Wahrscheinlich als einziger Bayern-Fan.
An dieser Stelle sehe ich mich gezwungen, die geneigte Leserschaft aufzuklären, warum ich diese Daten während des Spiels gegen Cottbus im Kopf hatte. Das hängt ganz einfach damit zusammen, dass ich aus einer kindlichen Laune heraus seit meinem ersten Bayern-Spiel jeden Stadionbesuch akribisch in einer Tabelle mit Datum, Ergebnis, Torschützen usw. lückenlos festgehalten habe. Was anfangs noch handschriftlich erfolgte, hat sich mittlerweile zu einer stattlichen Excel-Datei entwickelt, deren Auswertung die verrücktesten Ergebnisse zutage fördert. Einige Beispiel aus fast 700 besuchten Bayern-Spielen gefällig?
28,65 % aller Bayern-Spiele wurden von mir im Herbst besucht.
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