Sehnsucht FC Bayern
es gleich zu sagen: Sich von oben in den Oberschenkel zu spritzen, ist angesichts der Muskelmasse mit einigem Widerstand verbunden. Also probierte ich es später in den Bauch. Das ging besser, war aber ekliger selber mitanzusehen. Und irgendwie passte die Technik ja auch zum Reiseziel Japan, wo sich in früheren Zeiten entehrte Samurai-Krieger zur Selbsttötung das Schwert in den Bauch rammten. Als eigentliches Problem erwies sich dann aber der unruhige Flug. Mit der fertigen Spritze in der rechten Hand und entblößtem Ober körper saß ich auf der engen Bordtoilette. Schweißgebadet wartete ich dort das Ruckeln der Maschine und kleinere Luftlöcher ab, die zu einem leichten Abfallen des Flugzeuges führten und gewiss nicht einen Einstich an der gewünschten Stelle ermöglichten. Es war ein Drama! Harakiri für Arme. Bisher hatte ich nur von Fußballprofis gehört, die man für ein Spiel fit gespritzt hat. Jetzt galt das offenbar auch für Fans …
Die Suche nach einem billigen Hotel über das Internet war schier aussichtslos. Billighotel und Tokio sind zwei Dinge, die sich eigentlich ausschließen. Sven, einer aus unserer fünfköpfigen Reisegruppe, der auch sonst gerne auf die (damals) Mark schaute, konnte vor Abreise daher nicht ohne Stolz verkünden, »the most cheapest hotel in town« (Eigenwerbung im Internet) gefunden und für uns gebucht zu haben. Kopfkissen mit Sandfüllung im Schlafsaal und geflieste Erdlöcher im Boden als Etagen-Toilette wirkten sich in der Tat günstig auf die Übernachtungskosten aus. Wenn wir abends in die unbeleuchtete Straße zu unserer Herberge einbogen, lagen Obdachlose schlafend im Rinnstein, über die wir hinwegsteigen mussten, um zum Eingang zu gelangen. Es war eine andere Welt. Dennoch genossen wir das fremdartige Flair der asiatischen Metropole und machten von Sushi und Reiswein ebenso reichlich Gebrauch wie vom Porzellan-WC mit integrierter Po-Dusche im benachbarten Finanzamt, das wir regelmäßig dem Abort im Hotel vorzogen.
Größten Respekt verdienten sich die Fans unseres Endspielgegner Boca Juniors Buenos Aires, die mehr als doppelt so weit angereist waren, egal ob sie nun direkt aus Südamerika oder über Europa angeflogen kamen. Für sie hatte der Pokal eine ungleich größere Bedeutung, und entsprechend führten sie sich im ausverkauften Olympiastadion von 1964 auch auf. Eine würdige Bühne, in der sich Sammy Kuffour mit seinem Tor zum 1:0-Endstand einen exklusiven Platz in der Vereinsgeschichte sicherte. Die Nummer eins der Welt sind wir!
Eingebettet in die beiden Endspiele in Monaco und Tokio schritten unsere Planungen für den Umzug nach München voran. Antjes Arbeitgeber stellte uns aus München einen Makler zur Verfügung, der anhand individueller Kriterien vor Ort passende Wohnungen für uns suchte und Besichtigungstermine für uns organisierte. Wir flogen dreimal nach München. Leider ließen sich die beiden ersten Termine nicht mit Heimspielen des FCB kombinieren. Beim dritten Termin allerdings schon. War es Zufall, dass wir an dem Tag auch endlich die passende Wohnung fanden? Bei Monty Python würde man sagen: »Ein Zeichen, ein Zeichen!« Es war vier Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center. Angesichts der Geschehnisse in New York eine beängstigende Atmosphäre bei einem Heimspiel, zu dem wir wegen Unterzeichnung des Mietvertrages ohnehin mit einer halben Stunde Verspätung kamen. Keine Werbung, keine Musik, keine Lautsprecherdurchsagen. Einige US-Fahnen in der Südkurve bekundeten Solidarität mit den Opfern. Giovane Elber schoss das Siegtor in der 89. Minute. Seine verhaltene Jubelpose, eine Friedenstaube imitierend, hat Eingang in die Bundesligageschichte gefunden.
Im Dezember 2001 erfolgte dann der Umzug nach München. Antje begann zum Jahreswechsel dort ihre neue Stelle. Mit dem nötigsten Rest-Hausrat blieb ich so lange in Bergisch Gladbach wohnen, bis ich ebenfalls in München einen Job gefunden hatte. Die nachfolgenden Monate bedeuteten ein wöchentliches Pendeln. Wenn der FC Bayern ein Heimspiel hatte, flog ich auf Firmenkosten sowieso nach München. Stand ein Auswärtsspiel auf dem Programm, kam Antje über das Wochenende manchmal zurück nach Bergisch Gladbach. Eine klassische Wochenendbeziehung. Der wenige Resturlaub wurde ohnehin in München, zum Einrichten der neuen Wohnung, verbracht. Ein Dienstagsspiel in der Bundesliga in dieser Zeit gegen Mönchengladbach ist mir deshalb besonders im Gedächtnis, weil es mein erstes
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