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Sehnsucht FC Bayern

Sehnsucht FC Bayern

Titel: Sehnsucht FC Bayern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Radtke
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besinnen, nahm ich nur einen merkwürdigen Spagat zwischen wirtschaftlich notwen diger, aber unbeholfener Anbiederung an das »Big Business« sowie einem sporthistorisch verklärtem Festhalten an immer schwammigeren Erinnerungen ans Meisterjahr 1966 wahr.
    Das verblüffte mich. Wenn »Radi« Radenkovic als »lebende Legende« die aktuellen Geschehnisse seiner Löwen in der Abendzeitung kommentierte, was erstaunlich oft vorkam, dann nahm das ähnlich breiten Raum ein wie Franz Beckenbauers Stellungnahmen als OK-Chef der kommenden FIFA-WM 2006. So zumindest meine subjektive Wahrnehmung. Die aggressive Stimmung vor und im Stadion bei einem Derby überraschte mich dann aber doch. Was hier offen zur Schau getragen wurde, war keine Antipathie mehr, sondern vielfach einfach nur Hass, der zwar gewaltfrei, aber auf nicht minder primitive Art zutage trat. Ich kann mich bis heute nicht des Eindrucks erwehren, dass die offen artikulierte Abneigung mehrheitlich von den Fans des TSV 1860 ausgeht.
    Ich bin mir unschlüssig darüber, ob die Existenz eines Lokalrivalen die eigene Vereinsgeschichte im positiven Sinne bereichert und nach dem Motto »Konkurrenz belebt das Geschäft« vor Selbstzufriedenheit schützt. Oder ist es schöner, wenn die ungeteilte Liebe einer Stadt zu einem großen Verein (z. B. Kaiserslautern) diesen im Erfolgsfall glorifiziert und mit Steuer- sowie Sponsorengeldern den größeren Schub verleiht? Wenn der FC Bayern Meister wird und ein Drittel aller Münchner Fußballfans ihm genau das nicht wünschen, dann finde ich das zwar nachvollziehbar, aber eigentlich ziemlich doof. Umgekehrt genauso. Wie ätzend muss es sein, als Fan einer Profimannschaft in der eigenen Stadt zur Minderheit zu gehören?
    Da ich München fußballerisch nur über den FC Bayern kennengelernt und somit einen gewissen Alleinvertretungsanspruch für die Stadt verinnerlicht habe, stellt der Besuch von Derbys für mich heute mehr Pflichterfüllung als Vergnügen dar, zumal für einen Bayern-Fan der Sieg schon recht deutlich ausfallen muss, um ihm Genugtuung zu verschaffen. Zu Kölner Zeiten wäre ich daher nie auf den Gedanken gekommen, für ein Derby nach München zu reisen. In der Minderheit war ich bei meinen Auswärtsspielen in Nordrhein-Westfalen ohnehin schon permanent. Wenn ich also die weite Fahrt zu einem Heimspiel auf mich nahm, dann wollte ich verständlicherweise möglichst unter 63.000 Gleichgesinnten sein.
    Der neue Wohnort verhalf mir zu bemerkenswerten Auswärtsspielen:
      Ein Bundesligaspiel in Nürnberg nutzte ich trotz eigenem Auto endlich einmal für eine Fahrt mit Autobus Oberbayern, früher Reisebüro Egerer. Jahrelang hatte ich im Bayern-Magazin die Kleinanzeigen gelesen. (»Plätze frei / Karten vorhanden / Zusteigemöglichkeiten«) Und in der Tat war es wirklich mal ganz nett, sich in einem Reisebus im FC-Bayern-Design zum Spiel chauffieren zu lassen, und komplettierte meinen Erlebnishorizont mit dem Verein.
      Die Ansetzung eines Freundschaftsspiels in Reutlingen an einem Dienstagabend versetzte mich in innere Unruhe. Das war auch von München aus mit 225 Kilometern kein Katzensprung. Schon gar nicht Mitte Januar. Das eigentliche Problem war eine mehrstündige Tagung, die mein Chef für diesen Tag angesetzt hatte und für die ich organisatorisch sowie als Protokollführer verantwortlich war. Das konnte dauern. Ich musste alles daransetzen, der zeitlich offenen Veranstaltung ein natürliches Ende zu setzen. Ich feilte an einer möglichst effizienten Reihenfolge der Tagesordnung und nahm mir vor Veranstaltungsbeginn all jene Teilnehmer persönlich vor, die sonst durch Wortbeiträge beim letzten Tagesordnungspunkt »Verschiedenes« eine derartige Veranstaltung auszudehnen verstanden. Nach sieben Stunden war es dann so weit – »Verschiedenes«: »Hat noch jemand Fragen oder Anregungen?«, warf mein Chef etwas ermattet in die versammelte Runde. Mein drohender Blick an die Teilnehmer verfehlte seine Wirkung nicht. Ende! Ab nach Reutlingen. Mir blieb keine Zeit mehr, mich im Auto umzuziehen, und so fror ich im eisigen »Stadion an der Kreuzeiche« in meinem Business-Outfit erbärmlich. Aber ich sprach ja schon von Entbehrungen. Es fehlte eigentlich nur noch die kalte Ravioli-Dose …
      Uneingeschränkten Jubel löste bei mir hingegen die kurzfristige Ansetzung eines Freundschaftsspiels in München-Pasing aus. Das genaue Gegenteil zu Reutlingen. Die Bezirkssportanlage lag nur 2.300 Meter von meinem Büro entfernt.

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