Sehnsucht nach Leben
uns schon längst geschenkt! Wer das versteht, erlebt die herrliche Freiheit der Kinder Gottes, von der der Apostel Paulus spricht. Es ist eine tiefe innere Unabhängigkeit, die Luther schlieÃlich in Worms vor Kaiser und Papst treten lässt.
Jesus weist darauf hin, dass Leben viel mehr ist als bloÃes Ãber leben: âDarum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?â (Matthäus 6,25). Damit ist nicht Sorglosigkeit im Sinne von Vernachlässigung gemeint, sondern eine innere Freiheit, Prioritäten zu setzen: Was will ich mit meinem Leben? Freiheit birgt eben auch das kritische Potenzial in sich, zu hinterfragen, was scheinbar unerschütterlich vorgegeben ist: Warum? Was will ich mit der begrenzten Zeit anfangen, die mir zur Verfügung steht? Hier stehe ich in der Verantwortung vor mir, vor meinen Mitmenschen und vor Gott! Diese innere Freiheit, die Jesus von Nazareth lebte, hat seine Zeitgenossen ganz gehörig provoziert. Er gab sich mit Menschen ab, um die seine frommen Mitmenschen einen Bogen machten. Er setzte sich im Namen der Freiheit der Kinder Gottes über Normen und Gesetze hinweg, indem er beispielsweise am Sabbat geheilt hat. Matthäus erzählt im 12. Kapitel (Verse 9 bis 14): âUnd er ging von dort weiter und kam in ihre Synagoge. Und siehe, da war ein Mensch, der hatte eine verdorrte Hand. Und sie fragten ihn und sprachen: Istâs erlaubt, am Sabbat zu heilen?, damit sie ihn verklagen könnten. Aber er sprach zu ihnen: Wer ist unter euch, der sein einziges Schaf, wenn es ihm am Sabbat in eine Grube fällt, nicht ergreift und ihm heraushilft? Wie viel mehr ist nun ein Mensch als ein Schaf! Darum darf man am Sabbat Gutes tun. Da sprach er zu dem Menschen: Strecke deine Hand aus! Und er streckte sie aus; und sie wurde ihm wieder gesund wie die andere. Da gingen die Pharisäer hinaus und hielten Rat über ihn, wie sie ihn umbrächten.â
Immer wieder nahm Jesus sich im Namen der Menschenfreundlichkeit Gottes eine solche Freiheit. So hatte er keine Angst, sich von einer Frau anrühren zu lassen, die seit Jahren an Blutungen litt und daher als unrein galt. Er heilte sie (Markus 5,29), weil er die innere Freiheit spürte, dass die Liebe stärker ist als kulturelle Normen. Aber eine solche Freiheit ist gefährlich, auch das zeigt die Geschichte von der Heilung am Sabbat, denn manche Menschen sind eifersüchtig darauf, werden gelb vor Neid, wenn sie sehen, dass andere in solcher Freiheit zu leben wagen.
In seinem Lied âEin Stück vom Himmelâ singt Herbert Grönemeyer: âReligionen sind zu schonen, sie sind für die Moral gemacht.â Ich höre die Lieder von Grönemeyer gern; an meinem 49. Geburtstag konnte ich die Festgäste zu einem Livekonzert in Hannover einladen â ein schönes Erlebnis. Im Prinzip finde ich das Lied gut, die Musik allemal. Im Text verweist es auf die Erde, für die wir die Verantwortung tragen. Aber es ist ein völliges Missverständnis, wenn Religion mit Moral verwechselt wird. Religion ist, wie der Theologe Friedrich Schleiermacher es vor 200 Jahren treffend ausdrückte, ein âGefühl der schlechthinnigen Abhängigkeitâ, das Wissen darum, dass ich kein Zufallsprodukt des Universums bin, sondern Teil von Gottes Geschichte mit den Menschen. Ja, Religion wird immer wieder moralisierend gebraucht, um Menschen mit Drohungen und Gesetzlichkeit zu ängstigen und zu beherrschen. Was etwa hat ein Kopftuch mit Glauben zu tun? Aber immer wieder haben Menschen auch die Freiheit, ja, geradezu die revolutionäre Kraft gespürt, die sich in der Zusage der Liebe Gottes zu allen Menschen verbirgt.
Auf wunderbare Weise illustriert das eine kleine Geschichte: In einem Dorf klauen Kinder dem Pfarrer ständig die Ãpfel vom Baum. Er stellt ein Schild auf mit der drohenden Botschaft: âGott sieht alles!â Die Kinder schreiben darunter: âAber er petzt nicht!â Das zeigt eindrücklich, dass die Kinder eines verstanden haben: Bei Religion geht es nicht um Moral, nicht um Einschüchterung, sondern um Freiheit gegenüber den sogenannten Normen des vorgegebenen Verhaltens. Wer an Gott glaubt, darf das eigene Leben leben, ohne sich von Vorgaben, Ideologien, MaÃstäben, Gesetzlichkeiten anderer
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