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Sehnsucht nach Leben

Sehnsucht nach Leben

Titel: Sehnsucht nach Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Kaeßmann
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sind und dass am Ende die Menschenrechte selbst angegriffen werden. Die Religionsfreiheit wurde brutal missachtet und die Menschen schließlich aller Freiheiten beraubt, ja ermordet. Ich denke, dass Hans Küng völlig recht hat, wenn er immer wieder darauf beharrt, dass es ohne Frieden zwischen den Religionen keinen Frieden in der Welt geben wird. Sein „Projekt Weltethos“ ist ein gewichtiger Ansatzpunkt. Wenn Religionsfreiheit durch die Religionen respektiert würde, könnten sich die gewaltsamen Auseinandersetzungen dieser Welt definitiv entspannen. Ja, Religionen könnten dann endlich dazu genutzt werden, Konflikte zu entschärfen, statt sie zu verschärfen.
    Neben der Erfahrung innerer Freiheit aus Glauben und der Erfahrung der Bürgerrechtsfreiheit durch Menschenrechte gibt es auch die Erfahrung von Freiheitsentzug. In meiner Zeit als Bischöfin wurde ich einmal gebeten, an einem Charity-Lauf in einem Gefängnis teilzunehmen. Etwas ironisch sagten einige: „Na, dann lauf mal: immer an der Wand lang.“ Ich habe schon mehrere Gefängnisse besucht, aber dieser Lauf war besonders eindrücklich, weil wir in der Tat immer nur an der Wand entlanglaufen konnten. Angefeuert wurden wir von Häftlingen aus ihren Zellen heraus. Es war ein beklemmendes Gefühl. Einige Insassen waren durchtrainiert. Offenbar nutzten sie jede freie Minute zum Krafttraining. Andere waren in schlechter körperlicher Verfassung und machten offenbar nur mit, um aus der Zelle herauszukommen, frische Luft spüren zu können und andere Menschen zu sehen. Ich möchte keinesfalls unser Rechtssystem infrage stellen. Aber unsere Gesellschaft sollte sich dennoch klarmachen, wie hart Gefängnisstrafen sind. Wer in Haft ist, auch in einem so entwickelten Land wie Deutschland, befindet sich eben nicht in einem Hotel, wie manches Boulevardblatt es uns weismachen will. Da kannst du nichts selbst entscheiden, der Tag ist geregelt, du bist allein oder mit mehreren anderen auf sehr engen Raum beschränkt. Die eigene Freiheit ist dahin. Die Post wird kontrolliert, du kannst die Menschen, die du liebst, nicht täglich sehen. Du kannst nicht arbeiten, hast Angst um die eigene Zukunft, die Ehe, die Kinder, und diese Angst treibt dich um. Sie lässt dich nicht schlafen. Sie macht Menschen krank und isoliert sie.
    Gefängnispastoren klagen oft darüber, dass in den Fürbitten der Gemeinden die Gefangenen immer seltener erwähnt werden. Ob es daran liegt, dass auch Kirchengemeinden sagen: „Es geschieht ihnen ganz recht, dass ihre Freiheit eingeschränkt wird“? Ist der Gedanke verloren gegangen, dass Strafe auch Resozialisierung bedeuten soll – einen Fehler begehen, Strafe durchleben, aber dann wieder hineinwachsen können in die Mitte der Gesellschaft? Wo Freiheitsentzug pure Isolation bedeutet, dürfte das kaum möglich sein. Wie ernst nehmen wir die Worte von Jesus, der gesagt hat, dass wir ihm selbst begegnen, wann immer wir Gefangene besuchen („Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen“; Matthäus 25,36)?
    Aber auch das gibt es offenbar: eine Überforderung durch zu viel Freiheit und im Reflex eine Sehnsucht zurück in die Unfreiheit. Da wird etwa eine Diktatur nachträglich schöngeredet. Auf einmal scheint sie manchen gar nicht mehr so eng gewesen zu sein, auch wenn die Meinungsfreiheit abgeschafft war. Die Bibel kennt das gut: Erst bricht das Volk Israel wagemutig in die Freiheit auf und verlässt Ägypten. Aber als die Mühen der Freiheit in der Wüste allzu arg werden, sehnen sich viele zurück zu den „Fleischtöpfen Ägyptens“, die in der Erinnerung auf einmal in einem viel besseren Licht erscheinen, als sie in der Wirklichkeit erlebt wurden. Sie haben Ägypten zwar physisch verlassen, aber offenbar gibt es immer noch das Ägypten in den Köpfen. Und das kann lange nachwirken ...
    Um den Bogen zum Beginn des Kapitels zu schlagen: Wie finden wir in unserem eigenen Leben Freiheit? Ich denke, es geht nicht um den Terminplan oder die Familiensituation. Am Ende geht es darum zu wissen: Wer bin ich und was will ich mit meinem Leben? Wer mit sich selbst im Reinen ist, wer innerlich im Gleichgewicht und zufrieden ist, muss nicht ausbrechen. Ein solcher Mensch besitzt eine tiefe innere Unabhängigkeit und Freiheit. Fast 500 Jahre ist es her, dass Martin Luther entdeckte: Nichts, was ich tue, sage, keine

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