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Sehnsucht nach Leben

Sehnsucht nach Leben

Titel: Sehnsucht nach Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Kaeßmann
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zweite Mann im Beispiel bezieht seine Kraft nicht aus dem Glauben, aber gewiss aus seiner Erziehung. Wenn Mutter oder Vater oder beide Eltern ihrem Kind etwas zutrauen, ihm erlauben, die eigenen Kräfte auszuprobieren, und es ermutigen, wächst eine innere Kraft, die den Erwachsenen später lenken wird. Er wird nicht aufgeben, weil er spürt: Kämpfen lohnt sich. Sie wird sich nicht das Leben nehmen, weil sie ahnt, dass sich alles ändern kann. Eine Kampagne in den USA, bei der es darum geht, Teenagerselbstmorde zu verhindern, trägt den Titel: „It gets better – es wird besser!“ Sie will das Bewusstsein stärken, dass es zwar Tiefpunkte gibt und dass wir alle im Leben dieses furchtbare Gefühl durchleiden, wie es ist, keine Kraft mehr zu haben und nicht weiterzuwissen; dass es aber dennoch Wege gibt, wie Kraft zum Leben sich wieder finden kann. Da geht es um eine Lebenshaltung, die Erwachsene Kindern und Jugendlichen vermitteln können.
    Kraft ist derzeit ja ein sehr gefragter Begriff. Krafttraining, Tabletten, die Kraftzufuhr versprechen, mentale Kraft erlangen, Kraft aus der Wurzel des Ginseng ... Kraft wird uns an allen Ecken und Enden versprochen, sie wird zu einem Produkt auf dem Markt des Käuflichen. Es scheint ein Zeichen von Erfolg zu sein, Kraft zu haben. Aber welche Kraft? Kraftprotzerei jedenfalls ist unangenehm! Und in Deutschland hat Kraft einen besonders bitteren Beigeschmack. „Kraft durch Freude“ wird da schnell assoziiert; unter diesem Etikett wollte eine Organisation der Nationalsozialisten von 1933 bis 1945 dem deutschen Volk (Leistungs-)„Kraft“ verleihen. Dadurch sollte die Volkswirtschaft gestärkt und aus den Deutschen ein kriegstaugliches Volk werden. Gemeinschaftsförderung, „Veredelung des deutschen Menschen“, ein „nervenstarkes Volk“ waren die Ziele. Der Begriff „Kraft“ hat von daher einen negativen Klang in unseren Landen.
    Christinnen und Christen aber wissen, dass keine Ideologie, kein Fitnesscenter und keine psychologische Ermutigung ihnen letztendlich Lebenskraft geben können. Gott ist die Quelle unserer Kraft im Leben und im Sterben. „Gott stärkt mich mit Kraft und weist mir den rechten Weg“, heißt es in 2. Samuel 22, Vers 33. Gott weiß offenbar, dass der Mensch zunächst schlicht Essen und Trinken braucht, um Kraft zum Leben zu haben.
    Sehr schön zeigt sich das in der biblischen Geschichte von Saul, dem ersten König Israels. Als er sich mit einem riesigen Philisterheer konfrontiert sieht, erkennt er, dass sein Kampf aussichtslos ist. Er weiß nicht mehr weiter und geht zu einer sogenannten Totenbeschwörerin – andere sprechen von der „Hexe von En-Dor“. Die aber kann ihm auch nichts anderes sagen als das, was er schon ahnt: Der Kampf ist zu Ende und er wird ihn verlieren. „Da stürzte Saul zur Erde, so lang er war, und geriet in große Furcht ... Auch war keine Kraft mehr in ihm; denn er hatte nichts gegessen den ganzen Tag und die ganze Nacht“ (1. Samuel 28,20). Die Frau handelt in dieser Situation ganz pragmatisch. Sie hat nichts mit Saul zu schaffen, sie gehört nicht zu seiner Glaubensgemeinschaft. Aber sie gibt ihm schlicht zu essen und zu trinken, damit er die Kraft findet, seinen Weg konsequent bis zum Ende zu gehen.
    â€žKraft“ als Begriff wirkt in diesen Erzählungen gar nicht so männlich, männerkonzentriert oder so kraftstrotzend und wird nicht mit körperlicher Überlegenheit in Verbindung gebracht. Sie ist eher die Quelle, aus der ich schöpfe, um mein Leben zu bewältigen.
    Schön finde ich daher, dass die Bibel auch um die Kraft weiß, die Mütter brauchen. In 2. Könige 19, Vers 3 heißt es: „So sagt Hiskia: Das ist ein Tag der Not, der Strafe und der Schmach – wie wenn Kinder eben geboren werden sollen, aber die Kraft fehlt, sie zu gebären.“ O ja, Gebären braucht Kraft! Das habe ich mehr-fach erlebt. Zunächst die rein körperliche Kraft. Es gab in meinem Leben kaum eine schwerere körperliche Anstrengung, als zu gebären. Die Wehen und das Pressen nehmen deinen Körper auf eine Weise in Anspruch, die du weder vorher gekannt hast noch nachher wirklich schildern könntest. Nach den Geburten meiner Töchter war ich immer glücklich, aber ganz klar auch hungrig und durstig und absolut erschöpft.
    Und diese Erschöpfung dauert ja an.

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