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Sehnsucht nach Leben

Sehnsucht nach Leben

Titel: Sehnsucht nach Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Kaeßmann
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viel zu großes Ignorieren des Leids, das Krieg und Gewalt immer im Gepäck führen.
    Aber die Sehnsucht nach Frieden ist immer auch eine persönliche. Frieden fängt ja im eigenen Umfeld an. Wie finde ich Frieden in meiner Familie – auch über Brüche hinweg? Wie kann die Nachbarschaft Frieden halten, auch wenn Gerüchte, Verdächtigungen, Religion, Ideologien sie auseinanderdrängen? Wie finde ich Frieden in mir selbst, sodass ich mein Leben im Einklang sehe mit meinen Möglichkeiten? Neid, Gezänk, Stress – oft habe ich erlebt, dass mein innerer Friede dadurch gefährdet war. Ich brauchte eine innere Grundüberzeugung, damit mich die Meinungen, Einschätzungen, Wertungen anderer nicht in Unfrieden brachten. Wenn ich mit mir selbst und mit Gott in Frieden lebe, dann wird das meine Lebenshaltung prägen.
    Ich bin überzeugt: Wer einen tiefen inneren Frieden gefunden hat, besitzt den Mut, für Frieden in der Welt einzutreten. Der innere Friede, den ich erlange, wird auch nach außen relevant werden wollen. Frieden hat für mich daher immer eine religiöse, eine persönliche und eine gesellschaftliche Dimension. Die biblischen Wegweisungen entwerfen eine Kontrastgesellschaft, in der „Löwe und Lamm“ beieinanderwohnen und der Kampf um Vorherrschaft endlich ein Ende hat. Eine Welt, in der diejenigen, die Frieden stiften, als „selig“ angesehen werden und nicht die Kriegsherren.
    Als ich in einer Diskussion gefragt wurde, ob Christen einen Karikaturenstreit anzetteln würden, musste ich zugeben, dass es so etwas bereits gab. Denken wir an den Christus mit der Gasmaske von George Grosz (1893–1959). Als 21-Jähriger erlebte der Künstler den Ersten Weltkrieg. Er war schockiert darüber und zeichnete den Gekreuzigten als Opfer seiner Zeit. Am Rand der Zeichnung steht: „Maul halten und weiter dienen.“ Es kam zu einem Blasphemieprozess. Grosz floh 1933 in die USA, seine Werke wurden unter den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ gebrandmarkt.
    Aber das war doch keinesfalls Blasphemie, Gotteslästerung! Grosz hat Jesus als jemanden gezeigt, der „mit-leidet“. Mitleidet mit den Soldaten, die im Ersten Weltkrieg so entsetzliche Sinnlosigkeit und Zerstörung erlebt haben. Jesus, der Mitleidende mit den Opfern der Geschichte – dafür steht das Kreuz. Und genau das hat George Grosz zum Ausdruck gebracht. Letzten Endes kann keine Karikatur das christliche Gottesbild beleidigen, weil die schlimmste Karikatur schon Wirklichkeit geworden ist: als Gott selbst unter dem ironischen Schild „INRI – Jesus von Nazareth, König der Juden“ gekreuzigt wurde.
    Keine Karikatur kann das toppen. Und daher dürfen Christinnen und Christen niemals eine Karikatur des Gottes, dem sie sich anvertrauen, zum Anlass nehmen, um gewalttätig zu werden. Da gilt die Kontrastgesellschaft, die Jesus ausruft, wenn er sagt: „Selig sind die Sanftmütigen! Selig sind, die Frieden stiften!“ Ich finde das faszinierend. Gott zeigt sich selbst schwach, ohnmächtig und rüttelt damit an menschlichen Vorstellungen von Stärke und Schwäche. Was für eine Provokation! Bei uns gelten diejenigen als stark, die sich durchsetzen können, die ihre Ellenbogen gebrauchen, denen etwas gelingt. Waffen versprechen Durchsetzungskraft und Erfolg. Macht ist angesagt und wird zur Schau gestellt.
    Auch die Kirchen müssen sich das immer wieder sagen lassen. Es kann für sie keine Theologie des Erfolges, keine Kirche von Triumph und Selbsterhöhung geben. Wenn etwa ein Kirchengebäude prachtvoll gebaut wird, dann nicht zur Ehre der Kirche, sondern „soli deo gloria“ – allein zur Ehre Gottes! Und am Ende kehrt Gott die Verhältnisse um, weil so genau das infrage gestellt ist, was Menschen nicht infrage stellen: Der Tod ist das Ende des Lebens.
    Eberhard Münch hat zu dieser Radikalität ein wunderbares Bild gemalt. Die Friedenstaube in Rot. Sie fliegt in einer bunten Farbenpracht. Oft wird der Geist als Vogel dargestellt. Das soll, denke ich, seine Freiheit zeigen, die Verbindung zwischen Himmel und Erde.
    Das erinnert mich an ein Gedicht des Theologen Wilhelm Willms:
    der heilige geist ist ein bunter vogel
    er ist da
    wo einer den anderen trägt ...
    der heilige geist ist da
    wo die welt bunt ist
    wo das denken bunt ist
    wo das denken und reden und leben gut ist
    der heilige geist

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