Sehnsucht nach Leben
erheblichen Anteil daran, dass eine Diktatur zu Fall kam, ohne dass ein Mensch sein Leben lassen musste. Insofern sind die friedlichen Wege zur Lösung von Konflikten vielleicht weniger beeindruckend, weniger machtvoll und weniger finanziert ohnehin. Aber sie tragen die langfristigeren Visionen, sie überzeugen wesentlich tiefer und sie werden nachhaltiger wirken.
Wer die Sehnsucht nach Frieden kennt, wird auf die Taube vertrauen. Als Deutschland, ja, nahezu ganz Europa sich 2003 weigerte, an der US-Invasion im Irak teilzunehmen, lästerte der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld über âdas alte Europaâ. Es schien ihm kriegsmüde und nicht agil genug, den neuen Herausforderungen zu begegnen. Bei der groÃen Friedensdemonstration in Berlin war ein Plakat mit einer Taube über einer Erdkugel zu sehen. Darunter stand: âWir alten Europäer haben einen Vogel â Gott sei Dank!â Das fand ich eindrücklich. Die Friedenstaube ist eben kein Symbol der Schwäche, sondern der Stärke. Sie ermutigt zum Widerstand gegen die vermeintliche Logik von Waffen, Waffenhandel, Krieg und militärischer Intervention. Sie ermutigt zu Fantasie für den Frieden. Diese Taube will zu Vielfalt ermutigen, wie die Farben es anzeigen.
Wie können wir Gewalt beenden? In kleinen Schritten, mit Geduld zur Mediation. Wie können wir Kriegen Einhalt gebieten? Durch ein Ende des Waffenhandels, mit dem Willen zur Gerechtigkeit. Ja, diejenigen, die für Frieden eintreten, werden immer wieder als naiv verspottet werden, aber ihre Sehnsucht nach einer veränderten Welt bewegt die Menschheitsgeschichte. Da ist die kleine Geste über die Grenze hinweg. Da ist das Gebet auf feindlichem Territorium. Da wird der Feind zum Helfer. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Gottes Geist immer wieder ermutigt, vermeintlich unerschütterliche Grenzen zu überschreiten. Und es ist belegt, dass Menschen des Glaubens das immer wieder tun. Markus Weingardt [15] hat in einer Studie gezeigt, dass gerade sie der Mut zum Frieden aktiv werden lässt â wenig beachtet von einer Welt, die auf die Macht der Waffen versessen zu sein scheint.
Ja, Frieden im persönlichen, inneren und religiösen Bereich wird Menschen immer wieder inspirieren, auch für den Frieden in der Welt, für das Schweigen der Waffen und für Visionen von Mediation einzutreten. Die Friedensbotschaft des Evangeliums hat immer wieder ermutigt! Wir wissen das schon aus der Kindererziehung. Kinder, die Gewalt erleiden müssen, neigen als erwachsene Männer auch zur Gewalt oder als erwachsene Frauen dazu, sich in Beziehungen zu begeben, die von Gewalt gezeichnet sind. Sie können den Geist des Friedens, die Geistkraft, für die jene Taube steht, offenbar nicht spüren. Wer aber etwas von dieser Geistkraft des Friedens erlebt hat, wird offensichtlich ermächtigt, immer neue Wege zum Frieden zu finden. Im Kleinen wie im GroÃen.
So bleibt zu hoffen, dass diese Taube Menschen immer wieder inspiriert, unerschrocken für den Frieden einzutreten, auch da, wo Geist und Logik der Waffen ihnen entgegenstehen. Sicher, Gewalt hat es seit Kain und Abel immer wieder gegeben und wird es auch in der Welt immer geben. Aber in Erinnerung bleiben der Menschheit doch viel weniger die groÃen Feldherren wie Napoleon, Hitler, Stalin als die groÃen Friedensfreunde wie Ghandi, King, Mandela.
Wie sehr Schwäche zur Stärke werden kann, können wir nicht nur bei Jesus von Nazareth, sondern auch in der jüngeren Geschichte und ganz aktuell sehen. Ich denke an Helmuth James Graf von Moltke. Anders als andere am Widerstand Beteiligte lehnte der Initiator des Kreisauer Kreises das Attentat gegen Hitler ab. Das Gebot âDu sollst nicht tötenâ war ihm wichtiger als die mögliche Rechtfertigung eines Tyrannenmordes. Und doch wird er im Rahmen des Attentats gegen Hitler vom 20. Juli 1944 verhaftet. Am 10. Januar 1945 schreibt er einen Brief an seine Frau Freya von Moltke. Von einer tiefen Gotteserfahrung geprägt, reflektiert Moltke seinen bevorstehenden Tod. Er weiÃ, er wird am nächsten Tag zum Tode verurteilt werden. Das Sterben ist nahe. In dieser Situation spricht er mit einer bewegenden Zuversicht davon, wie er sich gehalten weià von Gott, dem er sich anvertraut hat. Wie demütigend die Auseinandersetzungen vor dem Volksgerichtshof waren, kann nachempfinden, wer einmal die Filme darüber
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