Sehnsucht nach Leben
intellektuell zu erfassen, sondern sinnlich wahrzunehmen und zu spüren. Das ist eine Erfahrung, die in Westeuropa lange vernachlässigt wurde und zum Teil verloren gegangen ist. Gerade der christliche Glaube ist im Zuge der Aufklärung immer rationaler geworden. Nur was ich erklären kann, hat Geltung. Glaube hat aber immer auch eine irrationale Seite. Wir nehmen ihn nicht allein mit dem Kopf wahr, sondern auch mit Herzen, Mund und Händen! Die Erfahrbarkeit Gottes nährt sich vielfältig â im Pilgern und Schweigen und Meditieren genauso wie im Staunen und Fühlen und Hören.
Aber wenn wir schon die Existenz Gottes nicht beweisen können und auch nicht die Möglichkeit der Auferstehung, wie dann die Gegenwart eines Engels? Da ist Glaube schlicht Gottvertrauen.
Ich freue mich über die Wiederentdeckung der Engel! Wir sollten sie nicht der Esoterik überlassen, denn sie sind ja ein gut bezeugtes biblisches Phänomen. Schon im hebräischen Teil der Bibel werden Engel erwähnt. Etwa Schutzengel wie bei Hagar, die mit ihrem Sohn in der Wüste umherirrt: âDa erhörte Gott die Stimme des Knaben. Und der Engel Gottes rief Hagar vom Himmel her und sprach zu ihr: Was ist dir, Hagar? Fürchte dich nicht; denn Gott hat gehört die Stimme des Knaben, der dort liegtâ (1. Mose 21,17). Der Engel weist Hagar einen Weg in die Zukunft und schützt Mutter und Kind. Auch Engel als Reisebegleiter gibt es, etwa, als der Knecht losgesandt wird, um für Jakob eine Frau zu suchen: âDa sprach er zu mir: Der Herr, vor dem ich wandle, wird seinen Engel mit dir senden und Gnade zu deiner Reise geben, dass du meinem Sohn eine Frau nimmst von meiner Verwandtschaft und meines Vaters Hauseâ (1. Mose 24,40). Das gilt sogar für das gesamte Volk Israel, als es aus Ãgypten flieht: âDa erhob sich der Engel Gottes, der vor dem Heer Israels herzog, und stellte sich hinter sie. Und die Wolkensäule vor ihnen erhob sich und trat hinter sieâ (2. Mose 14,19). Schutzengel und Engel als Reisebegleiter, von denen heute so viel die Rede ist, haben also biblische Vorbilder.
Auch im Neuen Testament wimmelt es geradezu von Engeln. Sie kündigen Maria und Zacharias die Geburt Jesu an, sie ermutigen die Hirten, das Kind zu suchen, später erwartet ein Engel die Frauen im leeren Grab. Der Satz âFürchte dich nicht!â ist geradezu ihre Visitenkarte. Engel als Lebensermutigung und als Zusage der Nähe Gottes sind tief im Evangelium verwurzelt. Sie vermitteln als Boten zwischen Himmel und Erde. Warum also sollte es lächerlich oder verwerflich sein, an die Existenz von Engeln zu glauben? Biblisch ist es in jedem Fall.
Manchmal mag es sein, dass wir in einem Traum begreifen, was das Richtige ist, welchen Weg wir gehen sollen â und es könnte aus religiöser Sicht ein Engel gewesen sein, der uns diese Erkenntnis vermittelt. Im Matthäusevangelium ist es ein Engel, der Josef klarmacht, dass es besser ist, mit Maria und dem Kind zu fliehen: âAls sie aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ãgypten und bleib dort, bis ich dirâs sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringenâ (Matthäus 2,13). Vielleicht hatte er eine Ahnung? Die drei Weisen hatten ihm von der Neugier des Herodes erzählt, als dieser gehört hatte, da sei ein Kind geboren, das der Messias wäre. Ob diese Geschichte sich nun so abgespielt hat oder nicht, sie berichtet von der Vermittlung einer Botschaft durch einen Engel im Traum. Und solche Traumerfahrungen machen Menschen auch heute noch.
Gewiss, die Psychologie wird das anders sehen und erklären, bei solchen Erfahrungen handle es sich um die Verarbeitung von etwas Erlebtem. Aber biblisch gesehen haben solche Traumerfahrungen ihre Berechtigung. Ich habe selbst schon erlebt, dass ich am Morgen erwacht bin und nach Tagen quälender Ãberlegungen plötzlich ganz und gar sicher war, welchen Schritt ich gehen musste. Warum sollen wir solche Erfahrungen nicht als das Ergebnis einer Vermittlung durch einen Engel betrachten, wenn wir auf einmal Klarheit für eine Entscheidung gefunden haben, die vorher nicht da war? âGott ist gegenwärtigâ, singen wir. Warum also sollte Gott nicht auch in unseren Erfahrungen und Träumen gegenwärtig sein? Matthäus
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