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Sehnsucht nach Leben

Sehnsucht nach Leben

Titel: Sehnsucht nach Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Kaeßmann
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einen Gott glauben, der elend am Kreuz gestorben ist? Das kann doch nicht Gott sein!“ Die christlichen Schülerinnen und Schüler guckten mich gespannt an, nach dem Motto: „Uff, ich hoffe, sie kann das jetzt anständig beantworten!“
    Wer die Geschichte von Jesus von Nazareth unter weltlichen Kategorien betrachtet, wird in der Tat zu dem Ergebnis kommen, dass es die Geschichte eines Scheiterns ist: Da wird ein Kind in ärmlichen Verhältnissen geboren; die Herkunft ist nicht so ganz geklärt. Es wächst auf und verhält sich nicht gerade konform; etwas merkwürdig scheint dieser Junge, der die Eltern verlässt und im Tempel die Schrift auslegen will. Obwohl: Alle Eltern wissen, dass sie so manches Mal nicht verstehen, was in ihren Kindern vor sich geht. Vielleicht war das ja auch geradezu normal ...
    Später sammelt der junge Mann einige Männer und Frauen um sich, die allerdings ebenfalls nicht gerade zur Spitze der Gesellschaft gehören. Geld machte er so jedenfalls nicht! Und mancher wird gedacht haben: Die armen Eltern! Hätte er doch die Werkstatt des Vaters übernommen! Das Ende ist tragisch: Er wird als Verbrecher hingerichtet. Das ist nicht gerade eine typische Hollywood-Geschichte mit Happy End. Und die Besetzung ist auch schlecht: Einer der engsten Freunde verrät ihn bei erstbester Gelegenheit, eine Frau in seinem direkten Umfeld hat einen durchaus zweifelhaften Ruf. Wahrhaftig keine Elitetruppe! Das konnte ja nichts werden! Genau das ist das Ergebnis einer ersten Analyse. Eine merkwürdige Religion, die so einen Versager verehrt, ja, zu ihm betet und allen Ernstes glaubt: Das ist Gottes Sohn.
    Aus dem Blickwinkel des Glaubens betrachtet sieht die Geschichte aber ganz anders aus: Gott wagt es, den Menschen ganz nah zu sein, ja, auf die Menschen selbst angewiesen zu sein, in Beziehung zu den Menschen zu treten. Gott kennt die Menschen, weil Gott selbst Mensch war. Gott weiß um Konflikte, Angst und Gewalt, weil er eben kein ferner Weltenlenker ist, sondern nah beim Menschen. Das christliche Gottesbild unterscheidet sich vom islamischen ganz besonders dadurch, dass es Schwäche und Angst nicht ausblendet, sondern hineinnimmt in das Gottesverständnis. Gott kennt Leiden. Deshalb vertrauen wir uns Gott im Leiden an. Es wurde eine gute und spannende Diskussion dort in der Schule ...
    Als ich in meiner Eigenschaft als Bischöfin und Ratsvorsitzende anlässlich des Festaktes zum 100-jährigen Jubiläum des Evangelischen Pressedienstes in Berlin war, schrieb anschließend eine Zeitung: „Käßmann, die ein Kreuz um den Hals trägt, das bei Ungläubigen als modisches Accessoire durchginge, hat hier ein Heimspiel.“ Ich kenne Robin Alexander nicht, der das in der „Welt“ (4. 2. 2010) geschrieben hat, aber es war interessant: Wie müsste ein Kreuz beschaffen sein, das nicht als „Accessoire“ gilt? Welche Vorstellung hat der Autor davon? Dick und fett und golden? Mit Diamanten besetzt? Wuchtig wie ein Ritterkreuz? Wobei der Weg zum Kreuzritter dann gedanklich auch nicht mehr sehr weit wäre ...
    In der Tat, ich finde es merkwürdig, wenn Menschen sich ein Kreuz um den Hals hängen, weil sie das irgendwie schmückend finden. Es ist für mich eine Glaubensaussage, eine bewusste Entscheidung, ein Kreuz zu tragen, und keineswegs modischer Schnickschnack. Das Kreuz kann darüber hinaus auch niemals ein Herrschaftssymbol sein! Auch und schon gar nicht bei Amtsträgerinnen und Amtsträgern der Kirche! Wer ein Kreuz trägt, bekennt sich zum Gekreuzigten, das heißt zum gedemütigten Christus. Es geht um den, der sein Kreuz getragen und uns so vorgelebt hat, was tiefstes Gottvertrauen heißt. Durch ihn versuchen wir, Gott zu begreifen. Wenn ich ein Kreuz trage, dann sagt das etwas über meine Lebenshaltung aus. Und die kann nicht triumphalistisch sein, sondern sie weiß etwas von der Demut gegenüber dem Leben, die verletzbar, angreifbar, ohnmächtig werden lässt. Kreuz und Macht – das passt nicht zusammen. Gott und Gewalt gehen nicht konform. Auch wenn es in der Kirchengeschichte entsetzliche Irrtümer gab, in denen ein solcher Zusammenhang hergestellt wurde. Das Kreuz ist das Zeichen der Freiheitsliebe Gottes, des Respektes vor der Würde jedes Menschen, sei er ein Verbrecher, krank, sterbend, gedemütigt oder auch erfolgreich, leistungsstark, glücklich. Gott ist ein

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