Sehnsucht nach Leben
war ein Lebewesen mit einer eigenen Seele. An einem heiÃen Julitag reichten seine Kräfte nicht mehr und ich musste ihn einschläfern lassen. Gemeinsam mit meinen Töchtern habe ich bitter um ihn geweint. Ich wollte nicht Herrin über Tod und Leben sein; es war unendlich schwer, eine Entscheidung zu fällen und zu sagen: âJa, erlösen Sie ihn.â Die Tierärztin war äuÃerst sensibel und meinte: âWissen Sie, wenn jemand so alt und lebenssatt und müde ist, warum dürfen wir dann nicht auch einem Menschen helfen, sanft zu sterben?â
Ja, warum? Ich denke, wenn es um das Thema âSterbenâ geht, stehen wir vor einem hochsensiblen Balanceakt. In Diskussionen bin ich der Frage immer wieder begegnet: Warum darf jemand nicht sterben, wenn er sterben will? Muss es eine so hohe Selbstmordrate geben, die höher ist als die Zahl der Opfer bei Autounfällen in Deutschland? Mir ist es sehr wichtig, offen darüber zu sprechen. Wenn wir die Freiheit haben, über den Tod, unsere Hoffnungen auf ein Leben und Sterben in Würde und über ein Leben nach dem Tod zu sprechen, kann sich vieles ändern. Ja, es geht um eine Balance! Aktive Sterbehilfe, bei der Menschen Angst haben müssen, dass sie âbeseitigtâ werden, weil sie anderen zur Last fallen oder für die Pflegeversicherung zu teuer werden, ist mir ein Gräuel. Wir sollten aber offen über solche Themen sprechen, denn ich bin davon überzeugt, dass es eine Gesellschaft verändert, wenn aktive Sterbehilfe zur Normalität wird: Wie lange wird eine Demenzkranke versorgt? Wann ist das Leben eines Alzheimerkranken noch lebenswert? Wenn es hier um Hoffnung geht, hoffe ich, dass gerade in Deutschland Menschen die Würde jedes anderen Menschen sehen, respektieren und vehement und entschieden für sie eintreten.
Auf der anderen Seite der Diskussion steht jedoch die Frage des Respektes vor dem Wunsch zu sterben. Kategorisch jede passive Sterbehilfe abzulehnen, geht meines Erachtens an der Sehnsucht vieler Menschen vorbei. Wenn ein Mensch weiÃ, dass sein Leben zu Ende geht, und er nicht alle Schrecken und Schmerzen der letzten Phase erleiden will, muss und darf es auch im christlichen Sinne eine Möglichkeit geben, schmerzfrei in den Tod zu gehen. Das kann durch Palliativmedizin möglich sein. Das kann durch die Geborgenheit in einem Hospiz eröffnet werden. Die Beachtung einer Patientenverfügung wird ebenfalls dafür hilfreich sein. Und die verabredete Beendigung lebenserhaltender MaÃnahmen erscheint mir ebenso als verantwortliche, meist ja sogar durch ein Konsilium beratene Erleichterung des Sterbens.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass dieses Thema sehr brisant ist. Aber gerade dann, wenn wir die Hoffnung auf Auferstehung haben, dürfen wir dem Gespräch darüber nicht ausweichen! Ich persönlich wünsche mir, dass ich angesichts eines unausweichlichen und schmerzhaften Todes eine Grenze setzen darf. Ja, ich werde sterben. Und ich bin überzeugt: Gott gibt mir die Freiheit, diese Lebenserfahrung zu machen, ohne all die Schmerzen erleiden zu müssen. Ich denke, dass unserer Gesellschaft an diesem Punkt noch ein massiver Diskussionsprozess bevorsteht! Etwa: Warum wird jemandem eine Magensonde gelegt, wenn er Nahrung verweigert? Will diese Person vielleicht sterben und signalisiert das, indem sie weder Essen noch Flüssigkeit zu sich nimmt? Wer hat das Recht, das zu ignorieren? Warum darf ein Mensch nicht die Morphiumdosis selbst bestimmen am Ende einer Krebserkrankung und vielleicht irgendwann das Schmerzmittel so hoch dosieren, dass der Tod eintritt? Wer will das mit welchem Argument verhindern? Gleichzeitig leben wir in einer Machergesellschaft. Da macht es Menschen Angst, einem System ausgeliefert zu sein. Was, wenn beschlossen wird, du belastest das Gesundheitssystem zu sehr? Was, wenn du noch gar nicht sterben willst, aber siehst, dass deine Familie mit der Pflege derart belastet ist, dass du ihr das ersparen willst? âSelig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangenâ, sagt Jesus in der Bergpredigt. Daran sollten wir uns orientieren.
Einmal wurde ich in ein Hospiz gebeten. Eine Frau lag im Sterben. Bei ihr war die Tochter ihres ehemaligen Geliebten. Eine merkwürdige Konstellation, aber das Leben spielt manchmal schlicht so. Die Eltern dieser Frau waren verstorben, doch die âehemalige Geliebteâ brauchte nun Beistand und
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