Sehnsucht nach Leben
wünschte ihn sich von ebenjener Frau. Ich konnte nur kurz kommen und habe sicher nicht alles erfasst. Aber die Frau starb noch in derselben Nacht. Die Tochter ihres Geliebten sagte mir später, auf spürbare Weise hätte sie Befreiung dadurch erlebt, dass ich als Bischöfin beim Abschied gesagt hatte: âIch wünsche Ihnen Gottes Segen.â Für sie war dieser Satz offensichtlich wie eine Absolution und sie konnte in Frieden Abschied nehmen. Mit der Hoffnung auf Vergebung und Erlösung ...
Warum fällt es uns nur so schwer, über den eigenen Tod, den Tod anderer, unsere Hoffnung für unser Leben und Sterben und ein Leben nach dem Sterben zu reden? Ich denke, der zentrale Faktor ist Angst. Der evangelische Theologe Heinz Zahrnt war jemand, der das mit seiner bemerkenswerten Sprachkraft konnte. In seinem Buch âGlaube unter leerem Himmelâ erzählte er davon, was es bedeutet, wenn die allgemeine Gewissheit, dass unser Leben endlich ist, zur persönlichen Erkenntnis wird. Als wir uns kennenlernten, mochte er mich nicht. Mit etwas spöttischem Unterton titulierte er mich immer als âmeine liebe Frau Generalsekretärinâ; daraus wurde im Laufe der Jahre âmeine Liebeâ und wir gingen oft miteinander essen. Eines Tages rief er mich an und fragte: âLiebes, würden Sie mich beerdigen?â Diese Bitte hat mich sehr gerührt, denn uns trennte eine Generation. Und ich bewundere bis heute, wie es ihm gelungen ist, über sein eigenes Sterben, seinen Tod in einer Weise zu reden, die der Hoffnung Raum gibt. Er, der rationale Theologe, sprach davon, dass der Arzt wohl âExitusâ sagen mag, unser Glaube aber âIntroitusâ erklärt. Statt Ende und aus also Eingang in eine neue Existenz. Mich hat das bewegt. Und seine Beerdigung war denn auch fröhlich. In der Ansprache meinte ich, dass Heinz Zahrnt wahrscheinlich Gott nun all die Fragen stellte, die er immer schon stellen wollte, und dabei wohl nicht lockerlieÃe. Heiterkeit kam auf in der Trauergemeinde, weil wir uns das alle lebhaft vorstellen konnten.
Warum können wir nicht über unser Sterben reden? Ich würde gern in Ruhe sterben. Nicht plötzlich, wie es Mode geworden ist, weil wir uns alle vor dem langsamen, qualvollen Sterben fürchten. Nein, ich würde gern in Ruhe alles regeln und Abschied nehmen. Vielleicht mit meinen Töchtern überlegen, welcher Friedhof, welcher Pastor, welches Lied. Und dann sagen dürfen, was ich nicht ungesagt lassen will. Das ist Gnade. Und ich möchte auch sagen können, dass ich die Hoffnung habe, dass es ein Leben gibt nach unserer Zeit und Welt. Ein Leben ohne all den Druck. Ein Sein bei Gott.
Die Bibel spricht manchmal davon, dass Gott unter uns wohnen will (2. Mose 29,45). Dieser Gedanke hat mich schon oft fasziniert. Gott als Nachbarin sozusagen, bei der ich vorbeischauen kann. Der Psalmist sagt, dass Gerechtigkeit und Frieden sich küssen werden (Psalm 85,11) â all das Ringen um Miteinander wird also ein Ende haben. An anderer Stelle werden wir auch damit getröstet, dass irgendwann einmal alle Tränen abgewischt werden (Offenbarung 21,4). Solche Bilder besitzen eine ungeheure Hoffnungskraft! Ãber den Tod hinaus, aber auch für ein Leben auf dieser Erde, in unserer Zeit und Welt.
Wer an den Tod zu denken wagt â an den eigenen wie an den von Menschen, die er liebt â, findet Kraft zum Hoffen. Wer es wagt, die Verletzlichkeit eines Menschen im Angesicht des Todes mitzuerleben und dessen unerwartete Sanftheit, erkennt, dass uns nicht nur Schrecken begleitet, sondern auch Hoffnung. Eine Hoffnung auf einen tiefen inneren Frieden nach all den Kämpfen dieser Welt. Und zugleich auch eine Hoffnung auf Auferstehung in Gottes Zukunft, von der nur Gott allein weiÃ, wie sie aussehen mag. Das tröstet â im besten Sinne.
Sehnsucht nach
GEBORGENHEIT
Das zentrale Sinnbild von Geborgenheit ist wahrscheinlich der Mutterleib. Da war ich geschützt, warm gehalten, wurde sanft vom Fruchtwasser hin und her gewiegt. So mancher Psychologe sagt, das sei der Ursprung jener Sehnsucht. Und eine Frau, die ein Kind in sich wachsen spürt, wird diese Geborgenheit wahrnehmen. Es hat sich auch im 21. Jahrhundert nichts daran geändert, dass dies immer noch ein Wunder ist â auch wenn die Schwangerschaft schwierig oder unerwünscht ist oder von Furcht begleitet. Ein Mensch geborgen in einem anderen
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