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Sehnsucht nach Leben

Sehnsucht nach Leben

Titel: Sehnsucht nach Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Kaeßmann
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getröstet habe und dass sie diesen Ausspruch selbst in schwierigen Situationen zitieren. Seine Töchter haben mir geschrieben, wie wichtig ihnen selbst diese Erinnerung an den Vater ist. Der Satz ist eine tiefe Glaubensaussage, aber er spricht offenbar auch Menschen an, die den Glauben noch nicht für sich entdeckt haben, sondern auf der Suche sind und sich nach Glaube sehnen. So wünsche ich mir, dass Menschen in unserem Land und in unserer Zeit dieser Sehnsucht nach Glauben mehr Raum geben würden, dass unsere Kirche die Suchenden begleitet und für ihre Fragen und Ängste und Vorurteile offen ist. Am Ende wird es darum gehen, dass wir von unseren eigenen Überzeugungen und Glaubenserfahrungen sprechen. Gewiss, sie sind nicht immer rational zu erklären oder sachlich darzulegen. Sie mögen auch belächelt werden oder Häme und Spott begegnen. Aber sie sprechen von eben dieser Haltung: Ich weiß mich gehalten, deshalb habe ich Haltung.
    Ein Gedicht von Rainer Maria Rilke verleiht dem auf wunderbare Weise Ausdruck.
    Herbst
    Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
    als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
    sie fallen mit verneinender Gebärde.
    Und in den Nächten fällt die schwere Erde
    aus allen Sternen in die Einsamkeit.
    Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
    Und sieh dir andre an: es ist in allen.
    Und doch ist einer, welcher dieses Fallen
    unendlich sanft in seinen Händen hält .
    Daran glaube ich. Und da findet meine Sehnsucht ein Zuhause, eine Beheimatung, ihre Verwurzelung. So wünsche ich mir, dass dieses Buch Menschen ermutigt, ihre Sehnsucht nach Leben zuzulassen, ihr Raum zu geben, sie nicht zu unterdrücken. Wir brauchen mutige Menschen, die einstehen für ihren Glauben, für ihre Familie, für ihre Freundinnen und Freunde, für Gerechtigkeit und Frieden, für diejenigen, die als Flüchtlinge in den Elendsvierteln dieser Welt auf andere angewiesen sind. Unsere Welt, die für mich Gottes Welt ist, braucht Menschen, die anderen beistehen. Menschen, die sich nicht ablenken lassen von den Unterhaltungsprogrammen der Medien, sondern die über den Zaun blicken. Menschen, die noch Visionen haben und Träume und sich nicht von Fernsehen, Geld und Konsum einschläfern lassen. Die Träumenden sind gefragt, die mit einer wachen Sehnsucht nach Leben.
    Diese Menschen kennt auch schon das Buch der Psalmen. Ich liebe es sehr, denn es zeigt, dass Poesie oft stärker ist als alle Abhandlungen, Appelle und theologische Schriften – und das über Jahrtausende hinweg bis in die Gegenwart. Die Psalmbeter wissen: Es gibt diese doppelte Sehnsucht nach Leben in vielfältiger Weise. Es ist die Sehnsucht, dass meine begrenzte Lebenszeit einen Sinn hat. Und die Sehnsucht nach Leben in der Beziehung zu Gott, getragen vom Glauben, mit der Hoffnung auf ein Leben, das weit über diese Zeit und Welt hinausweist. Es tut unserer Seele gut, wenn wir uns dieser Lebenssehnsucht stellen. So möchte ich mit Psalm 126 enden, den ich gern bei meiner Beerdigung zitiert wissen wollte:
    Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der Herr hat Großes an ihnen getan! Der Herr hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich. Herr, bringe zurück unsre Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.
    [ 1 ] Wladimir Kaminer, Das Leben ist kein Joghurt, edition chrismon, Frankfurt 2010, S. 29.
    [ 2 ]   Herta Müller, Atemschaukel, München 2009.
    [ 3 ]   Ebd., S. 24 f.
    [ 4 ] Muriel Barbery, Die Eleganz des Igels, München 2008.
    [ 5 ] Ebd., S. 88.
    [ 6 ] Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 1628.
    [ 7 ] Christopher Schmidt, Mitteilungen über eine Schreibmaschinenbesitzerin, in: SZ Nr. 94, Samstag/Sonntag 24./25. 4. 2010, S. 18.
    [ 8 ]   Ebd.
    [ 9 ] Hilde Domin: Ziehende Landschaften. Aus: dies., Gesammelte Gedichte. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1987.
    [ 10 ] Gotthold Hasenhüttl, Christen gegen Christen, Stuttgart 2010, S. 19.
    [ 11 ] Kürzung und Übersetzung durch MK. Originaltext: „Let freedom ring. And when this happens, and when we allow freedom ring—when we

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