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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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und machte es ihm auch nicht leichter. Bei aller Erleichterung über seine Rettung fiel es ihr offensichtlich schwer, ihn gleich wieder ziehen zu lassen. Immer wieder stiegen Tränen in ihre Augen; sie griff nach seiner Hand und drückte sie ergriffen. Schließlich war es Zeit, sich zu verabschieden. Sie standen am Quai vor dem Landesteg des Dampfschiffes. Die meisten Passagiere waren bereits an Bord. Fritz konnte sich eine letzte Frage nicht verkneifen.
    »Warum hat Jella sich nicht wenigstens von mir verabschiedet?«, fragte er. In diesem Moment gelang es ihm kaum, seine Enttäuschung zu verbergen. Imelda sah ihn seltsam an.
    »Deine Frau wird wissen, was sie tut«, meinte sie. Fritz biss sich auf die Unterlippe. Vielleicht war es ja auch gut so; schließlich war es seine Entscheidung gewesen.
     
    Von der Schiffsreling aus betrachtete er, wie seine Mutter und Rajiv aus dem Lichtkegel der Schänke in der tiefen Dunkelheit verschwanden. Mit ihnen verschwand auch seine Vergangenheit. Rajiv hatte ihm eine Flasche Schnaps besorgt. Fritz beschloss, sie in seiner Kajüte zu leeren.
    Als er am nächsten Morgen mit brummendem Schädel aufwachte, hatte das Schiff längst abgelegt. Der Schnaps hatte seinen Kummer nicht gelindert. Im Gegenteil, er fühlte sich noch elender als am Abend zuvor. Er schleppte sich an das Oberdeck, um etwas frische Luft zu atmen. Sie schipperten mit einer
nachziehenden Rauchfahne entlang der nebligen Küste. Möwen umschwirrten das Schiff und begleiteten das Getöse des Schiffsmotors mit lauten Schreien. Trotz des Nebels konnte Fritz an der Küste einige Pelikane ausmachen. Sie fischten mit ihren sackartigen Schnäbeln nach Küstenfischen. Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er gar nicht mitbekam, wie ihn eine kleine Hand am Hosenbein zupfte. Erst als ein forderndes »hoch« erklang, blickte er auf das kleine Mädchen neben ihm. Sie hatte dunkles, glattes Haar und herrlich lebhafte bernsteinfarbene Augen, die ihn erwartungsvoll anblickten. Ein kleines Fingerchen zeigte zu den Möwen in der Luft.
    »Vogel sehen«, meinte sie ernst. Etwas in ihrem Gesichtsausdruck kam Fritz seltsam bekannt vor. Er schaute sich um und entdeckte die Mutter des Kindes. Er hätte es sich denken können. Fritz suchte nach Worten, wollte protestieren, den Kapitän zum Umdrehen bewegen, doch dann platzte in ihm der Knoten, der sich für so lange Zeit auf seine Seele gelegt hatte, und er nahm seine Frau wortlos in die Arme.

ZWEITER TEIL
Rajasthan (Indien)
    Südwestafrika
    1919 /1920

»Star of India«
    Der aromatische Duft des Würztees stieg Jella in die Nase, noch bevor Jamina das Glas auf den kleinen Beistelltisch neben ihren Korbsessel gestellt hatte.
    »Hhm! Chai massala!«, seufzte sie wohlig und streckte ihre müden Beine aus. Sie nahm das geschwungene Teeglas vorsichtig auf und nippte an dem heißen Getränk. Der Geruch von Ingwer und Kardamom stieg ihr in die Nase. Das war genau das Richtige nach einem anstrengenden Arbeitstag. Sie saß auf der Dachterrasse ihres Haveli und genoss den sanften Abendwind, der durch die kunstvoll geschwungenen Arkadenbögen strich. In der Ferne läuteten die Glocken des Jagdish-Tempels zum Gebet. Das Rufen und Feilschen der Händler und Passanten mischte sich mit dem Gelächter der Wäscherinnen am Picholasee, die gerade ihre Wäsche zusammenpackten, um zu Hause das Essen für den nächsten Tag vorzubereiten. Eine Kuh muhte laut vor Hunger, und aus dem Rosegarden hörte man das Gebrüll eines hinter Gitter gehaltenen Tigers. Der Tumult und Krach aus der Stadt stand in krassem Gegensatz zu der Ruhe, die der Picholasee verströmte. Die Sonne lag wie ein Ball auf den Aravellibergen und verwandelte den See in einen blauroten Wasserteppich, in dessen Mitte ein prächtiger, weißer Palast stand, dessen vergoldete Kuppelspitzen wie Signallichter zur Stadt hin leuchteten. Das späte Sonnenlicht spiegelte sich auf dem weißen Marmor und verlieh ihm etwas märchenhaft Unwirkliches.
    Jella bat Jamina zu sich. Die ältere Frau, die gerade verblühte
Blumen aus einer Wasserschale klaubte, eilte herbei und verbeugte sich, wobei sie mit zusammengelegten Händen ihre Stirn berührte.
    »Memsahib.«
    »Ist Riccarda schon aus der Schule zurück?«
    »Ja, Memsahib.«
    »Dann sag ihr, ich erwarte sie hier oben.«
    Jamina wirkte plötzlich verlegen.
    »Das kann ich nicht, Memsahib.«
    Jella horchte auf. »Und wieso nicht, wenn ich fragen darf?«
    »Miss Riccarda ist noch einmal

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