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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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sich daran, die hohe Düne im Sossuvlei zu erklimmen. Das kühle Mondlicht erhellte die blauschwarze Nacht und ließ den Dünengrat wie einen schwarzen Weg vor ihr erscheinen. Ihre Füße sanken tief in den weichen roten Sand ein, als sie sich an den Aufstieg machte. Die Anstrengung half ihr ein wenig, sich zu beruhigen.
    »Sternenschwester?«
    Nakeshis Stimme drang leise durch die Nacht. Jella war froh, sie zu hören. Sie blieb stehen und wartete, bis die Freundin bei ihr war.
    »Jella sieht traurig aus«, meinte die Buschmannfrau. Sie wies mit dem Kopf nach oben. »Du willst dort oben nach einer Antwort suchen?«
    Jella zuckte mit den Schultern. Doch Nakeshi nickte ernst. »Manchmal braucht man die Welt unter sich.«
    Gemeinsam setzten sie den Aufstieg fort, bis sie endlich den Dünenkamm erreicht hatten. Der Himmel spannte sich mit seinem Sternenzelt weit über sie, während das Meer der Dünen in die Unendlichkeit zu streben schien.
    »Fritz ist sehr krank«, unterbrach Nakeshi das Schweigen. »Gwi und seine Llangwasi haben seine Seele mit bösen Pfeilen vergiftet.«
    Jella sah ihre Freundin dankbar an. Einmal mehr bewies sie Feingefühl und Einfühlungsvermögen. Wie konnte eine Buschmannfrau ihr so nahestehen? Sie stammte aus einem völlig anderen Kulturkreis, und doch kannte sie keinen anderen
Menschen, mit dem sie sich auf eigenartige Weise so verbunden fühlte.
    »Vielleicht plagen ihn ja wirklich Geister«, meinte sie verzweifelt. »Aber ich finde einfach keinen Weg, sie zu vertreiben. Er will mich nicht mehr.«
    Nakeshis zarte Hand ruhte mitfühlend auf ihrem Arm.
    »Kannst du nicht eine Geistreise unternehmen und ihn von seinem Leid erlösen?« Jella schämte sich fast für den Vorschlag, aber hatte sie nicht selbst erfahren, dass bei den Buschmännern Dinge möglich waren, die in ihrer Welt unvorstellbar waren? Nakeshi wog ernst den Kopf.
    »Nakeshi kann Pfeile nicht lösen.«
    Jella seufzte. Es war eine dumme Idee gewesen, zu fragen. Wahrscheinlich funktionierte diese Art von Magie nur unter Buschmännern.
    »Sternenschwester selbst kann Pfeile lösen«, setzte Nakeshi nach. Jella sah sie überrascht an.
    »Ich? Ich bin keine Heilerin, und schon gar keine Mystikerin.«
    »Doch, dein Num sehr groß«, widersprach die Buschmannfrau. Sie ergriff Jellas Hand und zog sie hoch.
    »Meinst du wirklich?«
    Jella kam sich lächerlich vor. Sie war keine Buschmannfrau. Doch Nakeshi ließ nicht locker. Sie begann sich hin- und herzuwiegen, während ihre Lippen erst leise, dann immer lauter werdend eine Melodie anstimmten. Ungeschickt versuchte Jella, die Schritte ihrer Freundin nachzuahmen. Schon wegen ihrer Körpergröße kam sie sich wie ein Trampel vor. Andauernd fiel sie aus dem Takt. Nakeshi schien das nicht zu stören. Sie ließ Jellas Hand jedoch nicht los. Als sie die Augen schloss und sich auf dem schmalen Dünengrat ganz der Führung ihrer Freundin überließ, wurde es etwas besser. Dann spürte sie, wie ein Funken von Nakeshis Hand auf sie übersprang und sie innerlich
zu erwärmen begann. Ihr war, als hätte die Buschmannfrau eine kleine Flamme in ihr entfacht. Schnell loderte sie auf und wurde zu einem Feuer, das sie von Innen heraus erhellte. Ihre Lippen begannen von allein Worte zu formen, die mit Nakeshis in Einklang standen. Sie wunderte sich nicht mehr, dass es ihr gelang. Immer schneller wurden ihre Bewegungen, immer hektischer ihr Gesang, dann spürte sie einen Ruck, und sie entglitt ihrem eigenen Körper. Voll Staunen sah sie Nakeshi unter sich auf der Düne stehen und tanzen. Ihre eigene Körperhülle lag neben ihr. Ein kurzer Schreck, dann fühlte sie, wie ihr Geist von diesem Ort weggezogen wurde, hinein in Fritz’ Vergangenheit und Leid.
    Als sie aus der Trance erwachte, war nichts mehr wie zuvor.
     
    Fritz saß etwas abseits auf einem Fels und stierte auf die karge Wüstenlandschaft, während die anderen noch mit dem Bepacken ihrer Pferde beschäftigt waren. Wie so oft in den letzten Tagen überließ er sich ganz seiner Depression. Er hätte sich freuen müssen, über die gelungene Flucht, über Jella, über seine kleine Tochter, die er nun bald sehen würde. Doch er verspürte nur eine große Leere, die immer wieder von den grausamen Bildern seiner Erlebnisse überdeckt wurden. Noch zwei Tage, dann hatte die lange Reise ein Ende und sie würden die Walfischbucht erreichen. Aber was folgte dann? Sie strebten einer ungewissen Zukunft entgegen, und er haderte mit sich und seinem Schicksal.

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