Sehnsucht nach Owitambe
Das Tier sah in Ricky jedoch keine Helferin, sondern genauso einen Feind wie in der Raubkatze. Es fletschte seine spitzen Zähne und versuchte nach ihrer Hand zu schnappen. Die Bewegung verursachte ihm jedoch so starke Schmerzen, dass er es gleich wieder sein ließ. Kläglich jammernd starrte er sie voller Angst an. Ricky hatte keine Ahnung, wie sie das Tier transportieren sollte. Niemals in ihrem Leben hatte sie ein wildes
Tier berührt. Sie wagte nicht, es auf den Arm zu nehmen, weil sie sich vor seinen Bissen fürchtete. Debe war nun ebenfalls bei ihr. Er schenkte dem Affen kaum Aufmerksamkeit, sondern spürte der Raubkatze nach. Ihr Glück war, dass der Wind auf sie zukam, sodass das Raubtier die Menschen und den verletzten Affen noch nicht wittern konnte.
»Wir müssen weg«, drängte Debe. »Wenn Katze Affe sieht, wird ihr Hunger sehr groß sein.«
»Wir können den Kleinen doch hier nicht einfach liegen lassen«, protestierte Ricky. Allerdings klang sie bei Weitem nicht mehr so selbstbewusst wie noch vor wenigen Minuten. »Ich möchte ihn mit zu meinem Vater nehmen.«
In diesem Moment erklang ein drohendes Fauchen aus dem Unterholz. Ricky schreckte auf und sah Debe hilfesuchend an. Erst jetzt wurde ihr die Tragweite ihrer leichtfertigen Unternehmung richtig bewusst. Debe handelte unverzüglich. Kurzerhand packte er den verletzten Affen am Kragen, sodass er sich nicht wehren konnte, und bedeutete Ricky, ihr zu folgen. Kaum waren sie ein paar Schritte gegangen, da brach der Gepard durch das Gebüsch. Er entdeckte die beiden Menschen und nahm wohl auch die Witterung des verletzten Affen auf. Noch einmal erklang sein drohendes Fauchen. Mit gesträubtem Fell schien er zu überlegen, ob es sich lohnte, den Davonlaufenden zu folgen. Doch dann schüttelte er sich und trottete zur Wasserstelle.
Kaum waren sie in Sicherheit, begann Debe mit Ricky zu schimpfen. Vor lauter Erregung sprach er in der Buschmannsprache. Obwohl sie nur Klicken und Schnalzen hörte, verstand sie sehr wohl, dass er sehr sauer war, weil sie durch ihre Unachtsamkeit sie beide in Lebensgefahr gebracht hatte.
Beschwichtigend hob sie beide Hände.
»Es tut mir leid«, meinte sie kleinlaut. »Ich habe nur an den Affen gedacht. Das war dumm von mir.«
Debe musterte sie noch einen Augenblick streng, dann verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Sacht legte er nun den kleinen Pavian auf den Boden und besah ihn sich genau.
»Arm kaputt, Bein kaputt«, meinte er fachkundig. »Tier kaputt«, fügte er dann noch hinzu.
Ricky streichelte sanft über den kleinen Kopf. Das Tier hatte sich offensichtlich in sein Schicksal ergeben und rührte sich nicht mehr. Nur seine braunen Augen flackerten vor Unsicherheit.
»Mein Vater wird ihm helfen«, versicherte sie Debe. »Er ist ein großer Heiler.«
Behutsam nahm sie den kleinen Kerl auf ihren Arm und begann ihn zu liebkosen.
»Ich nenne ihn Jacko«, meinte sie verklärt. Der junge Buschmann verstand nicht, weshalb das weiße Mädchen so einen Wirbel um einen gewöhnlichen Affen machte. Vielleicht sah sie in ihm einen Schutzgeist? Achselzuckend akzeptierte er ihre Entscheidung.
So wurde nicht nur das erste Mitglied einer neu entstehenden Tierauffangstation in Owitambe eingeführt, sondern Ricky bekam endlich eine Aufgabe, die ihr das Leben in ihrem neuen Zuhause erträglicher erscheinen ließ.
Nachdem Fritz Arm und Bein des jungen Pavians geschient hatte, gab er ihn in die Obhut seiner Tochter.
»Du musst dafür sorgen, dass er die nächsten Tage ruhig liegen bleibt. Die Schienen werden ihm lästig sein, und er wird versuchen, sie abzumachen. Das darf auf keinen Fall geschehen. Am besten nimmst du ihn immer mit.«
Von Samuel bekam Ricky einen Leiterwagen, in den sie einen Strohsack legte. Darauf bettete sie den kleinen Jacko und nahm ihn überall mit hin. Aufopferungsvoll fütterte sie ihn mit Früchten und Pflanzensamen, die sie rund um Owitambe sammelte.
Fritz ermahnte sie, darauf zu achten, dass Jacko nur das zu fressen bekam, was er in freier Wildbahn auch finden würde.
»Wenn du ihn zu sehr verwöhnst, gewöhnt er sich nicht mehr an sein altes Leben und wird nie wieder in die Freiheit wollen.«
Sein Ratschlag blieb jedoch reinste Utopie. Ricky fand den Gedanken, dass Jacko für immer bei ihnen bleiben sollte, gar nicht so schlimm, denn sie war total vernarrt in den kleinen Affen. Jacko merkte schnell, dass ihm alle Herzen zuflogen. Selbst Teresa begann dem kleinen Kerl in unbemerkten
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